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Gesellschaft & Religion Apokalypse statt Pengpeng: Krieg in Kinder- und Jugendmedien

Seit dem 18. Jahrhundert beschäftigen sich Kinder- und Jugendbücher mit dem Thema Krieg. Die Autorinnen und Autoren segeln dabei hart am Wind der Zeit und beziehen neue Bedrohungsszenarien in ihre Texte ein. Das Buch «An allen Fronten» untersucht diese Medien.

Hinter Kriegsgeschichten für Kinder und Jugendliche steht seit den 1950er-Jahren ein und dieselbe Haltung: Sie nehmen klar gegen den Krieg Stellung, verdeutlichen, welche Schrecken Kriege über die Menschen bringen, und sie beleuchten, wie bewaffnete Konflikte entstehen.

Bis in die 80er-Jahre dominierten Romane über den Zweiten Weltkrieg. Doch in den letzten Jahren hat sich das Genre an die neuen Gegebenheiten angepasst, an die neuen Kriegsszenarien, wie sie etwa der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seinem Buch «Die neuen Kriege» (Rowohlt, 2002) definiert hat.

Münkler schreibt: «Kriege sind heute entstaatlicht, kriegerische Gewalt privatisiert; sie sind asymmetrisch, es treffen keine gleichartigen Gegner mehr aufeinander, die Gewalt richtet sich in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung; reguläre Armeen spielen kaum mehr eine Rolle, die Hoheit über das Geschehen liegt in den Händen von «Gewaltakteuren, denen der Krieg als Auseinandersetzung zwischen Gleichartigen fremd ist.»

Neue Arten der Kriegserzählung

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«An allen Fronten»: Buchbesprechung von Raphael Zehnder
03:39 min
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 39 Sekunden.

Caroline Roeder ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Leiterin des dortigen Instituts für Sprachen und des Zentrum für Literaturdidaktik – Kinder Jugend Medien (ZeLd) sowie Mitherausgeberin von «An allen Fronten». Sie betont, dass sich die Kinder- und Jugendmedien in zweierlei Hinsicht verändert hätten: Hinsichtlich der Erzählformen und der Inhalte.

Jugendliche, die an «Star Wars» und Computerspiele gewöhnt seien, könnten mit «zweimal Pengpeng» nicht als Leserinnen und Leser gewonnen werden, sagt Roeder. Daraus resultiere eine gewisse «Brutalisierung» der narrativen Darstellungen, beispielsweise die apokalyptische Welt der Romantrilogie «Die Tribute von Panem» der US-Amerikanerin Suzanne Collins.

Eine Welle von Publikationen

Buchhinweis

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Ingrid Tomkowiak, Ute Detmar, Gabriele von Glasenapp, Caroline Roeder (Hg.): «An allen Fronten. Kriege und politische Konflikte in Kinder- und Jugendmedien.» Chronos Verlag, 2013.

«Plötzlich ist der Krieg wieder da in der Kinder- und Jugendliteratur», stellt Roeder fest, «in neuen erzählerischen Formen, mit einer grossen Wucht, in grosser Brutalität in der Darstellung.» Diese neueste Welle von Kriegserzählungen führt Caroline Roeder auf zwei Entwicklungen zurück. Einerseits auf die grössere Sichtbarkeit der Kriege, die heute nicht mehr nur in Zeitungen und Nachrichtensendungen thematisiert werden, sondern über Gratismedien in jedes Tram und über Computerspiele in fast jedes Kinder- und Jugendlichen-Zimmer hineinstrahlen.

Und andererseits auf die Migration, die Kinder mit äusserst unterschiedlichen Lebensgeschichten in ein und demselben Klassenzimmer versammeln. Menschen aus Kriegsgebieten sind Teil unserer Gesellschaft, und Kinder- und Jugendmedien mit ihrem oft explizit didaktisch-pädagogischen Ansatz sind darauf angelegt, ihrem Publikum die Hintergründe dieser Menschen zu vermitteln.

Grosse Bögen und Blick fürs Detail

Der Band «An allen Fronten», in dem Texte von 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern versammelt sind, schlägt zum einen formal grosse Bögen: von der Kinder- und Jugendliteratur über Mangas, Film- und Fernsehformate für ein junges Publikum bis hin zu Computerspielen – und zeitlich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Eine Stärke ist dabei, dass die Autorinnen und Autoren die genannten grossen Entwicklungen aufzeigen und zugleich in die Tiefe bohren.

Das menschliche Interesse am Thema Krieg ist unerschöpflich. Seit Homer und Vergil ist es ebenso sehr Konstante der Literaturgeschichte wie der ausserliterarischen Realität. Wobei «fiktionale Formate (Erzählungen, Filme, Computerspiele, Illustrationen oder Fotografien)» für die Literatur eine «ebenso grosse, wenn nicht sogar grössere Bedeutung» haben als die Berichterstattung über reale Kriege, wie die Kölner Literaturwissenschaftlerin Gabriele von Glasenapp in «An allen Fronten» schreibt.

Ein Heilsversprechen: «Paradise Now»

Szene aus dem Film «Paradise Now» mit einem bewaffneten Mann und einem Kamermann.
Legende: «Dieser Krieg muss geführt werden, denn er wird die Welt besser machen.» – Bild aus dem Film «Paradise Now». Warner Independent Pictures

Kriegserzählungen, die sich an Kinder- und Jugendliche richten, erlebten eine Blütezeit von den 1870er- bis in die 1950er-Jahre, also in den Jahren des deutsch-französischen Krieges über die Zeit des Ersten bis in die Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkriegs. «In erzählerischer Form beschrieben werden (…) zunächst weniger die Kriege der jeweiligen Autorgegenwart, sondern die Kriege der Antike und natürlich jene der deutschen Vergangenheit: der Dreissigjährige Krieg, die Befreiungskriege, die Napoleonischen Kriege», schreibt Glasenapp.

Und weiter: «Die Kriegserzählung fungiert also zunächst als ein Medium des kulturellen Gedächtnisses und damit zugleich immer als eine Möglichkeit der eigenen (deutschen) Identitätsvergewisserung.» Dieser historische Roman entstand im 19. Jahrhundert parallel zur Geschichtswissenschaft.

Die dominierende Erzählweise war, so Glasenapp, «Paradise Now»: «Den Darstellungen aller – realer wie fiktiver – Kriege geht, offen oder impliziert formuliert, ein Heilsversprechen einher: Dieser Krieg muss geführt (und gewonnen) werden, denn er wird die Welt besser machen.»

Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs

Mit der grossen Weltkatastrophe, dem Zweiten Weltkrieg, war ein solcher Grundton allmählich nicht mehr akzeptabel. Ausser in sowjetischen Erzählungen vom «Grossen Vaterländischen Krieg» und in den «Landser»-Groschenheftchen in Westdeutschland wurde die kriegsbejahende Erzählhaltung marginal. In der Kinder- und Jugendliteratur Westeuropas und der USA erlebte und erlebt eine kriegskritische, ja pazifistische Geisteshaltung einen mächtigen Aufschwung, hatte man doch gesehen, wohin Krieg führt.

«Der Literatur wird nun die Aufgabe zugewiesen, ihre Leser aufzuklären über die Welt wie sie ist», schreibt Gabriele von Glasenapp. «Dazu zählen auch die innerhalb der Gesellschaft diskursiv verhandelten Kriege, die zugleich in immer grösserem Ausmass den Charakter medialer Kriege tragen: Die sukzessive zum Leitmedium avancierten visuellen Medien erlauben jedem Einzelnen (vermeintlich!) nun auch eine permanente visuelle Teilhabe an den aktuellen Kriegen.»

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