In der Ardèche, im Südosten Frankreichs, liegt eine der ältesten und grössten Steinzeithöhlen der Welt: die Grotte Chauvet. Auf den Felswänden sind Höhlenbären, Höhlenlöwen, Mammuts, Wollnashörner, Riesenhirsche, Wildpferde und eine Eule zu sehen – über 400 Bilder und Zeichnungen, die 14 Arten darstellen, vor allem grosse und gefährliche Tiere. Sie sind aussergewöhnlich gut erhalten. Anhand von Kohleresten konnte das Alter einzelner Bilder ermittelt werden: Sie entstanden vor 36'000 Jahren.
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Einzigartiges Kulturerbe – jetzt auch als Replik
Um die empfindlichen Felszeichnungen zu schützen, wurde die Höhle sofort nach ihrer Entdeckung vor 20 Jahren für die Öffentlichkeit gesperrt. Selbst ausgewählte Wissenschaftler dürfen nur selten und für begrenzte Zeit hinein. Damit sich aber auch ein breites Publikum eine Vorstellung von diesem einzigartigen Kulturerbe machen kann, wurde die Grotte nachgebaut.
Wie eine riesige, hellgraue Bärentatze liegt die Replik auf einem Hügel mit weitem Blick über die Cevennen. Ein Metallsteg führt in die künstliche Höhle hinein. Genau wie in der echten Höhle: Dort dürfen die Wissenschaftler den Boden nicht betreten, damit er intakt bleibt. Der Besucher geht durch riesige Felsgewölbe mit Stalagmiten, Stalaktiten und bizarr versteinerten Vorhängen, die theatralisch von der Decke herab wallen. Es ist kühl, die Luft ist feucht, selbst der erdige Geruch wurde der Originalhöhle nachempfunden.
Ein Rind mit acht Beinen und jagende Löwen
Die echte Höhle ist 8500 Quadratmeter gross. Für die Kopie haben Geologen und Ingenieure das Vorbild auf 3000 Quadratmeter verdichtet. Dafür wurden Decken, Wände und Boden per Laserscanner in ein digitales 3D-Modell überführt, dieses in ein Relief aus Draht übertragen und mit Acrylharz, Beton und Lehm überzogen. Die Felsoberfläche mit ihren Risse, Rillen und Falten ist bis ins Detail nachgeahmt. Im Schein kleiner Lampen sind die Zeichnungen zu sehen.
Höhepunkt ist ein zwölf Meter breites Gemälde: Ein Löwenrudel macht Jagd auf eine Herde Wisente. Zehn Raubkatzen pirschen sich an, wie hypnotisiert starren sie auf ihre Beute, zum Angriff bereit. Die Wisente rennen in wilder Panik fort. Eins der Rinder hat acht Beine, es galoppiert regelrecht – eine Zeichentechnik, die an heutige Trickfilme erinnert.
Nicht jeder durfte die Bilder sehen
Die Kopie des Bildes hat Gilles Tosello angefertigt. Er ist Künstler und Prähistoriker zugleich, hat selbst in der Höhle geforscht. «Ich habe bewusst schnell gearbeitet, weil die Höhlenkünstler schnell gearbeitet haben. Sie waren in einem künstlerischen Schaffensprozess, ich war in einem Prozess der Nachgestaltung. Ich habe den Strich also nicht in unzählige kleine Einheiten zergliedert, um auf den Millimeter genau zu sein, sondern die Kurve mit ihrer Energie und in ihrer Absicht wiedergegeben.»
Während der Arbeit hat Tosello überlegt, warum der Steinzeitkünstler dieses Bild im hintersten Saal der Grotte gemalt haben könnte. «Wahrscheinlich war es sehr wichtig, dass diese Felszeichnung existiert, und dass die übrigen Mitglieder der Gruppe dies wussten, selbst wenn sie es vielleicht nie gesehen haben. Die Höhlenmaler dienten ihrer Gemeinschaft, ähnlich wie die Künstler im Mittelalter. Ihre Kunst hat spirituelle Bedeutung, von daher wird sie auch kontrolliert: Nicht ein jeder hat das Recht zu malen, und nicht jeder darf die Bilder sehen.»
Originalgetreu bis ins kleinste Detail
Jean-Michel Geneste leitet das Wissenschaftsteam, das die Chauvet-Höhle erforscht. Zusammen mit Geologen und Archäologen hat der Prähistoriker den Nachbau der Höhle wissenschaftlich geprüft. «Ich selbst habe mich dabei auf Farben und Ritzbilder konzentriert. Wenn eine Kohlezeichnung nicht schwarz genug war oder eine Patina nicht stimmte, habe ich das bemängelt. Bis ins kleinste Detail haben wir kontrolliert, ob die Kopie exakt dem Original entspricht.»