Dass ein US-Präsident in einer populären Talkshow auftritt, ist nichts Besonderes. So verabschiedete Barack Obama zum Beispiel David Letterman in dessen letzter Sendung oder bewies in «Saturday Night Live» und «Between Two Ferns with Zach Galifianakis» sein komisches Talent.
Aber die News, dass Obama im hierzulande völlig unbekannten Audio-Podcast «WTF» des Stand-Up-Comedians Marc Maron zu Gast ist, kam einer kleinen Sensation gleich. Wie ein Lauffeuer verbreitete sie sich durch die amerikanische Presse. Warum diese Aufregung? Weil Marc Maron für seine Interviews berühmt-berüchtigt ist.
Weder Distanz noch Objektivität
Der Name des Podcasts ist Programm: «WTF» steht für «What the Fuck». Doch mit der Reduktion auf den Faktor Vulgarität wird man «WTF» nicht gerecht. Mittlerweile gibt es über 600 Folgen, in denen Maron seine Gäste über eine Stunde lang in die Mangel nimmt und ihnen dabei Intimes entlockt.
Journalistische Distanz oder Objektivität interessieren Maron nicht im Geringsten. Gepflegte Interviews mit Celebrities sind von ihm nicht zu erwarten. Seine Motivation und sein Ziel seien in erster Linie ein Erkenntnisgewinn – für und über sich selbst, sagte Maron kürzlich.
In seelische Tiefen vorstossen
Die seelischen Krämpfe des Marc Maron spielen deshalb in den Podcasts eine dominante Rolle. In der entspannten Atmosphäre seiner zum Aufnahmestudio umfunktionierten Garage offenbart Maron Intimes aus seinem Leben und entlockt seinen prominenten Gästen umgekehrt Dinge, die sie in «normalen» Interviews für sich behalten hätten.
Doch es geht Maron nicht um schlüpfrige Geheimnisse, sondern darum, in seelische Tiefen vorzustossen. Depressions- und Suchtgeschichten tauchen deshalb zuhauf in «WTF» auf.
Als ehemaliger Kokser und Alkoholiker – Maron ist nach eigenem Bekunden seit 16 Jahren «sober» – verfügt er über die nötige Glaubwürdigkeit, damit Prominente sich ihm anvertrauen. So etwa Robin Williams, der Maron und dem Podcast-Publikum Einblick in seine private Hölle lieferte.
Abneigung gegen Politiker
Höhere Weihen erhielt Maron letztes Jahr von einer Fachjury im Onlinemagazin «Slate». Die Doppelepisode mit dem Berufskollegen Louis C.K. wurde zum besten Podcast aller Zeiten erklärt. Das zweistündige Gespräch ist eine mitreissende und schmerzliche Auseinandersetzung über Familie, Karriere und eine zerbrochene Männerfreundschaft.
Auch wenn darin grandios-vulgäre Anekdoten zu Trompeten und Masturbation vorkommen, bleibt in erster Linie der Eindruck haften, dass Komiker todernste Menschen sind. Seelische Krämpfe werden in «WTF» ausführlich und ausufernd behandelt.
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Alles andere als differenziert springt Maron mit der Spezies Politiker um. Ihnen verpasst er gerne Labels wie Machtgeilheit oder Zynismus. Trotzdem wollte sich Obama von Maron befragen lassen. Warum bloss?
Die Vanity-Fair-Kolumnistin Katey Rich brachte es auf den Punkt: «Maybe he really is done holding back.» Ob Obama – das Ende seiner Amtszeit in Sicht – einen Seelenstriptease vollzieht?