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Ein Kopf hinter verschränkten Händen vor roten Börsenkursen.
Legende: Utopisch? Axel Honneth spricht sich für eine Freiheit aus, die sich nicht dem Diktat der Ökonomie unterwirft. Keystone

Gesellschaft & Religion Axel Honneth: Dem Kapitalismus die Denkerstirn bieten

Obgleich die Idee des Sozialismus heute ihren Glanz verloren hat, sieht der Philosoph Axel Honneth in ihm noch immer einen lebendigen Funken. Um ihn allerdings zum Sprühen zu bringen, müssten wir unseren Freiheitsbegriff neu definieren.

Vor nicht einmal 100 Jahren wäre Honneths Rechtfertigung des Sozialismus kaum denkbar gewesen: Eine Idee, die über 150 Jahre lang die Herzen grosser Teile der Bevölkerung bewegte, brauchte keine Ehrenrettung.

Retrospektiv aber klebt an ihr viel Blut. Weshalb also sollte die Idee wiederbelebt werden? Weil sie zweckentfremdet wurde, sagt Axel Honneth. Der Sozialismus gehöre nicht der Vergangenheit an. Im Gegenteil: Der Sozialismus könne dem Kapitalismus noch immer Paroli bieten.

Krise der Gegenwart

Honneth diagnostiziert, dass unsere Gesellschaft in beunruhigendem Zwiespalt lebt: Es herrsche ein weit geteilter Unmut über die Ungerechtigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse und darüber, wie das Kapital verteilt ist. Gleichzeitig aber fehle dieser grossen Empörung jeglicher Richtungssinn. Ratlosigkeit mache sich breit: Was sind bessere Alternativen zum Bestehenden? Kann überhaupt etwas verändert werden?

Krankheiten unserer Zeit

Seit dem Beginn der neoliberalen Entgrenzung des Kapitalismus Mitte der 1980er-Jahre – so erklärt es Honneth – beobachten wir beunruhigende Phänomene: absurd hohe Gehälter für Manager etwa, die Deregulierung des Arbeitsmarktes oder kaum verständliche Finanzspekulationen. Sie seien Zeugnis für einen vollkommen entgrenzten Markt.

Öffentliche Güter wie etwa Universitäten geraten deshalb immer stärker unter das Diktat der Ökonomie. Das Voranschreiten der Ökonomisierung in diesen Bereichen sei gefährlich: Durch den Erfolgsdruck beginnen öffentliche Güter ihrer ursprünglichen Funktion zu widersprechen. Axel Honneth betont aber, dass auch eine Lebensform jenseits des Kapitalismus und des Wachstumsimperatives möglich wäre.

Freiheit, die ein Wir verlangt

In der «Sternstunde Philosophie» hält Axel Honneth ein Plädoyer für die soziale Freiheit. Sie könnte ein kulturelles Umorientieren veranlassen, das dem Diktat der Ökonomie nicht unterliegt. Soziale Freiheit bedeutet für Honneth das «Füreinander» anstelle des «Gegeneinander»: Die Freiheit des Einen ist die Bedingung der Freiheit des Anderen. Erst im Kollektiv wird die eigene Freiheit verwirklicht.

Honneth ist überzeugt, dass unsere Freiheits-Definition in Solidarität und Liebe umschlagen müsse. Nur so können die drei Imperative der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – miteinander vereint werden.

Wir müssen uns als Gesellschaft also wieder in unserer Komplementarität begreifen, um die von Honneth angepriesene soziale Freiheit zu verwirklichen. Die Aufgabe des Sozialismus ist es nun, uns den Wert dieser sozialen Freiheiten wieder erkennen zu lassen.

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