Es gibt wahrscheinlich kein ehrlicheres Bauwerk als die Mauer, die Israel von der palästinensischen Westbank trennt. Denn das Monstrum, das nach seiner Fertigstellung 760 Kilometer lang sein wird, ist längst zum Symbol eines ausweglosen Konflikts geworden. Sie hält zwei Welten auseinander, die miteinander nichts zu tun haben wollen, die Feindseligkeit und Hass seit Generationen kultivieren.
Demütigung und Schutz
Für die Palästinenser ist die Mauer ein weiteres Werkzeug willkürlicher Demütigung. Denn sie führt zu grossen Teilen über palästinensisches Gebiet, schützt illegal entstandene jüdische Siedlungen, erschwert das alltägliche Leben.
Für den Staat Israel bedeutet sie Schutz vor terroristischen Anschlägen. In der Tat ist die Zahl der Attentate und Terrortoten seit Errichtung der Grenzanlage erheblich zurückgegangen. Deshalb treibt Israel den Bau der Mauer weiter voran. Koste es, was es wolle.
«Ich möchte lieber sterben als eine Mauer auf meinem Land sehen.»
Die Pläne zur Errichtung der Grenzsperre haben nun auch das palästinensische Dorf Battir erreicht, das 7 Kilometer südwestlich von Jerusalem liegt. Quer durch die jahrtausendealte Terrassenlandschaft soll die Mauer gebaut werden, entlang der Bahnlinie, die Jerusalem mit Tel Aviv verbindet.
Seit über tausend Jahren bebauen die Bewohner Battirs die Felder auf den Terrassen. Acht Familien nutzen ein Bewässerungssystem, das noch aus römischer Zeit stammt. Wann welche Familie wieviel Wasser bekommt, wird genau geregelt. «Gerechtigkeit ist das Wichtigste hier», meint Abu Anan, der seit 75 Jahren in Battir lebt.
Die Bauern schützen die Bahnlinie
Die Mauer wäre ein Schandfleck, sie würde die Landschaft zerstören, so argumentieren die Einwohner Battirs. Sie wehren sich vehement gegen den Bau. Die Mauer wäre ökologisch, sozial und wirtschaftlich eine Katastrophe, denn ein Teil der Felder liegt jenseits der Grenze, auf israelischem Boden. Wie ist das möglich?
1949, nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg verlief die Waffenstillstandslinie exakt dort, wo auch heute noch die Grenze liegt. Im Friedensabkommen von Rhodos wurde jedoch vereinbart, dass die Bauern Battirs nach wie vor die Felder auf der anderen Seite der Grenze bewirtschaften dürfen. Als Gegenleistung versprachen sie, die Bahnlinie zu schützen und die Züge nicht zu attackieren. Dieses Versprechen hält bis heute. Ein kleines Friedenswunder im kriegerischen heiligen Land.
Weltkulturerbe, ein kluger Schachzug
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Seit Juni 2014 hat die Auseinandersetzung um die Mauer in Battir internationale Dimensionen erreicht. Denn die UNESCO erklärte die Terrassenlandschaft von Battir per Eilantrag zum UNESCO-Weltkulturerbe und setzte sie gleichzeitig auch noch auf die Liste besonders bedrohter Stätten. Ein kluger Schachzug, der allerdings auf viel Kritik stiess.
Denn ob die Landschaft von Battir wirklich von herausragender universeller Bedeutung ist, wie es die UNESCO eigentlich verlangt, wurde von einigen Experten bezweifelt. ICOMOS, als UNESCO-Partnerorganisation verantwortlich für die Evaluierung der Vorschläge für das Weltkulturerbe, konnte die «herausragende universelle Bedeutung» jedenfalls nicht erkennen. Trotzdem darf sich Battir nun mit dem Label schmücken. Eine politische Entscheidung?
Neue Technologien statt herkömmlicher Mauerbau
Ob die UNESCO-Entscheidung Israel in seinen Absichten, die Grenzanlage zu vollenden, beeinflussen wird? – Wohl kaum. Paul Hirschson, der Sprecher des israelischen Aussenministeriums meinte dazu nur lapidar: «Unsere Entscheidung für die Barriere wurde aus Sicherheitsgründen lange vor der UNESCO-Entscheidung getroffen. Die UNESCO sieht nur die zweifelsohne phantastische Landschaft, berücksichtigt aber die Sicherheitsfrage nicht. Das sind einfach zwei verschiedene Themen.»
Viel entscheidender als das UNESCO-Votum waren die Aktivitäten der Umweltorganisation FoEME (Friends of the Earth – Middle East), die gemeinsam mit Vertretern Battirs vor den Obersten Gerichtshof Israels zogen. Sie konnten die ökologische Verwüstung und die sozialen Konsequenzen der Barriere konkret darlegen. Und gleichzeitig auch Alternativen aufzeigen: Grenzüberwachung mit neuen Technologien statt herkömmlicher Mauerbau.
Eine Zukunft ohne Mauer?
Ein erster Erfolg zeichnete sich ab: Der Oberste Gerichtshof Israels entschied, dass die Israelische Regierung den Bau und den Verlauf der Grenzanlage nochmals überdenken müsse. Ist das ein Spiel auf Zeit oder Anzeichen für einen Neubeginn?
Abu Anan schöpft leise Hoffnung, während er in Battir sein Feld bestellt. «Ich möchte lieber sterben, als eine Mauer auf meinem Land zu sehen, und sei es nur auf einem einzigen Quadratmeter. Wir wollen keine Aggression mehr. Keine Unfairness und keine Vergewaltigung unseres Landes und unseres Dorfes,» sagt er und hofft, dass Battir eine kleine Oase des Friedens bleiben kann.