Manchmal, eher selten, erblickt meine alte Sammlung von Spielzeugautos wieder das Licht unseres Wohnzimmers. Es kommt vor, dass Freunde vorbeikommen, die die Spielsachen für ihre Buben vergessen haben, vielleicht sind es auch Mädchen. Die rutschen dann auf dem Boden herum, schubsen meine alten Autos über das Parkett, üben den Stau, üben das Parkieren, üben Unfälle.
Eine seltsame Welt, sehr von gestern. Denn da sausen sie wieder herum, der gute alte VW Bus, die Pneus schon brüchig, der Rover Hatchback, der einmal sogar einen Gepäckträger hatte, da liegt der Hillmann in Rallye-Version auf dem Dach, nach einer Kollision mit dem Bedford-Müllwagen, die filigranen Rückspiegel sind schon lange abgerissen. Die Jungs und auch die Mädels erfinden sich ihre Geschichten, der hübsche Lotus verkeilt sich zwischen Tischbein und Stuhlbein, der de Tomaso Panthera donnert ihm ins Heck, überschlägt sich.
Und eine seltsame Melancholie macht sich dann breit. Die Melancholie, die von alten Spielsachen immer ausgeht, weil sie von alten Zeiten erzählen, als die Welt noch anders beschaffen war. Als die realen Autos noch einen Kultstatus besassen, als es folglich einen Unterschied machte, ob man einen simplen BMW Touring in der Sammlung hatte, oder den Aston Martin von 007, komplett mit Schleudersitz und Schnellfeuerkanone ausgerüstet. Und man freute sich als Bub über die detailgenaue Nachbildung der Zylinderköpfe beim Porsche 911 und über die ziselierte Stossstange beim Jaguar E.
Eine andere Aneignung
Doch die Melancholie hat noch eine andere Seite. Sie verweist darauf, dass die Zeiten, als es eine Freude war, die ganze Sammlung in einem riesigen Parkplatz auszustellen, vorbei sind; vorbei die Zeit, als die vielen Autos so etwas bedeuteten wie ein Besitz von Welt, als die spielerische Aneignung von Wirklichkeit mit dem Sammeln von Autos geschah.
Beim leicht melancholischen Betrachten meiner Spielzeugautos frage ich mich, ob die Jungs von heute anders spielen, und wie. Noch immer mit Autos, so viel ist sicher, aber die Spielzeugindustrie bietet heute andere Autos zum Spiel an. Immer weniger möglichst akkurate Replikas wie früher, immer mehr in Plastik gestanzte Phantasieautos und zunehmend auch anthropomorphe Autos, die so aussehen, als wären sie gerade dem Animationsfilm «Cars» entfahren. Knuffige Playmobile sind angesagt, die Firma Matchbox führt ein ganzes Sortiment mit knuddeligen Lastwagen, Corgi lockt mit «Olly», dem kleinen weissen Van, der ebenso gut reden kann wie tanzen.
Begleitet wird die neue Spielautogeneration von einem wahren Arsenal an Videoclips, in denen die Autos reden, springen, tanzen und hüpfen. Sie zeigen Gefühle, entwickeln Persönlichkeit, sind tapfer und treu, und sie sind so menschennah, dass man sie am liebsten in die Arme nehmen würde.
Die Jungs und die Mädchen von heute, wenn sie denn mit Autos spielen, nehmen ihre Automobile zunehmend nicht mehr wahr als kleine Kopien der realen Welt. Die Spielzeugindustrie bietet Phantasieautos an, die eine ganz andere Aneignung von Realität suggerieren – über die Imagination, über das Imaginäre.
Welche Mobilitätsbiographie
Philosoph Walter Benjamin hat sich in seiner Schrift «Spielzeug und Spielen» mit der Frage auseinandergesetzt, auf welche Art sich Kinder über Spielzeug die Welt aneignen. Dabei legte er Wert auf die Feststellung, dass Kinder in ihren Spielen nicht einfach die Erwachsenenwelt reproduzieren, sondern sich vielmehr mit den «Spuren der älteren Generation» auseinandersetzen.
Das Mimetische bezieht sich gerade nicht auf die Reproduktion der Erwachsenenwelt, sondern in einem Hin und Her zwischen Verzauberung und Entzauberung. Mag sein, dass im veränderten Spiel der heutigen Buben und Mädchen mit Spielzeugautos die Grundlage für andere Mobilitätsbiographien liegt. Keine, die hauptsächlich auf dem Spiel mit sehr realen Autos gründen, vielmehr Biographien, die Mobilität in den Raum des Imaginären stellen, als eine Verzauberung; und das mit den realen Autos, den akkurat nachgebauten, diese Realität wäre dann die entzauberte. Noch offen, wie das dann genau aussieht.