Wie haben Sie sich diesem so bewegenden wie belastenden Thema der Demenz angenähert?
Rob Lewis: Ich kenne es aus der eigenen Familie. Meine beiden Grossmütter litten im hohen Alter an Demenz. Ich war also schon vor Projektbeginn mit der Krankheit vertraut, allerdings nicht so gut wie heute. Die Arbeit hat einiges in mir ausgelöst.
Und zwar?
Es fiel mir lange nicht leicht zu akzeptieren, dass eine ältere Person mental wieder zu einer Art Kleinkind werden kann. Sie bringt so viel Lebenserfahrung mit, scheint gefestigt – und dann braucht sie plötzlich fremde Hilfe. Umso wichtiger ist es, dass man sich auf sie einlässt, ihr Zeit und Empathie schenkt.
Wie gelang es Ihnen, ein Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen und Patienten aufzubauen?
Zuerst besuchte ich das Demenzzentrum Schönberg in Bern ohne Kamera. Ich hielt mich jeweils 4 bis 5 Stunden dort auf, suchte den Kontakt mit den Menschen und sprach mit dem Pflegepersonal, das einen bewundernswerten Einsatz leistet. Damals hatte ich noch keine Bildidee. Ich vertraute auf meine Intuition, liess mich treiben – und inspirieren.
Wovon?
Ich überlegte mir: Was entwickelt sich zwischen Geburt und Tod? Was macht einen zu dem, was man ist? Wir alle erleben so viel. Nur: Was ist, wenn du dich an nichts mehr erinnern kannst? Das hat mich zur Hauptfrage geführt: Gibt es überhaupt ein Leben ohne Erinnerung?
Die Besuche haben mich gelehrt, optimistisch zu bleiben.
Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Jede und jeder muss für sich entscheiden, wie sie bzw. er dazu steht. Mit meinem Buch will ich weniger selbst Antworten liefern, als vielmehr generell das Bewusstsein für Demente schärfen. Deren Angehörige leiden ja ebenfalls stark unter den Auswirkungen der Krankheit.
Trotzdem werden Sie zu einer Erkenntnis gekommen sein, nehme ich an. Deshalb nochmal die Frage – die nicht im biologischen, sondern im übertragenen Sinn gemeint ist: Gibt es ein Leben ohne Erinnerung?
Ich für meinen Teil kann sagen, dass mich die Besuche oft bedrückt haben, aber auch gelehrt, optimistisch zu bleiben – trotz der vielfach deprimierenden Begegnungen. Vielleicht sieht man nicht den Sinn, an Demenz erkranken zu müssen. Gleichwohl glaube ich mittlerweile, es könne ein lebenswertes Dasein ohne Erinnerung geben.
Aus Ihrer zentralen Fragestellung entwickelten Sie das Konzept, die Demenzkranken mit sich selber zu konfrontieren, indem sie in einen Spiegel blickten.
Die Spiegelung sollte ihnen ermöglichen, den Blick auf sich selbst zurückfallen zu lassen.
Es fragt sich, was die Menschen dabei sahen. Je nach Verfassung erkennen sie sich nicht mehr. Das stelle ich mir nicht nur beklemmend, sondern auch risikoreich für die Betroffenen vor.
Natürlich ist es erschreckend zu sehen, wenn dies passiert. Doch bei den Aufnahmen war immer eine Pflegeperson dabei. Sie hätte bei Bedarf sofort zum Schutz der Porträtierten eingegriffen. Doch wir haben nichts gemacht, was sie hätte verstören können. Das sieht man auch auf einem Making-of-Video, das wir erstellt haben.
Beiträge zum Thema
Leider können wir nicht erfahren, was den Porträtierten in diesem Moment durch den Kopf ging. Umso mehr interessiert, was die Bilder in Ihnen ausgelöst haben.
Sie haben mich sehr berührt. Ich finde, sie leben richtiggehend. Das zeigt sich in den Gesichtern. Überhaupt habe ich viel Leben im Zentrum gespürt. Wenn man sich auf die Bewohnerinnen und Bewohner einlässt, entsteht eine Intimität, die bei aller Schwere auch Hoffnung gibt.
Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass ohne Erinnerung die eigene Identität weitgehend «ausgelöscht» wird. Das ist ernüchternd.
Ja, doch selbst wenn die Menschen alles verloren haben – sogar ihre Biografie –, bleibt ihnen immer noch ein Ort der Geborgenheit. In den persönlichen Begegnungen realisierte ich: Es lässt sich ein positiver Umgang mit der Krankheit finden.