- Die «Bravo» war Kult und Pionierin in Sachen sexuelle Aufklärung der Jugend.
- Die Auflage von einst weit über eine Million Hefte ist heute auf 140‘000 Exemplare gesunken.
- Das Internet und eine Aufsplitterung der Jugend in Gruppen mit ganz unterschiedlichen Interessen entziehen der Zeitschrift die Lesergrundlage.
- Das Konzept «Bravo» – eine Zeitschrift, die alle Jugendlichen ansprechen will – wird verschwinden.
«Bravo» war Pflicht
«Bravo?», fragt die Verkäuferin am Kiosk und zuckt mit den Schultern.
Ja, die «Bravo». Die Zeitschrift, die ganze Generationen durch die Jugend begleitet hat und heute ihren 60. Geburtstag feiert.
In den 1970er-Jahren hätte die Kioskverkäuferin diese Frage nicht gestellt. Damals erreichte die Jugendzeitschrift eine Rekordauflage von 1,8 Millionen Exemplaren. Die «Bravo» war Kult, der Gang zum Kiosk für viele deutschsprachige Teenager ein wöchentliches Ritual.
«Bravo» verdirbt die Jugend
Sie tapezierten ihre Schlafzimmer mit Starschnitt-Postern von Pierre Brice oder Uschi Glas. Sie verliehen «Ottos» an ihre Lieblingsstars Roy Black oder Suzi Quatro.
Sie lasen neugierig die Antworten von Dr. Sommer auf Fragen ihrer Altersgenossen wie: «Kann ich schwanger werden, wenn ich Sperma schlucke?» oder «Mein Freund liest Sexhefte. Soll ich Schluss machen?».
In Sachen sexuelle Aufklärung war die «Bravo» Pionierin. 1972 landete sie auf dem Index – Dr. Sommers Ausführungen zur Selbstbefriedigung befand die zuständige Behörde als jugendgefährdend.
Später kam der wöchentliche «Body Check» dazu mit ganzseitigen Nacktfotos von «Girls» und «Boys», quasi als Vergleichsgrösse mit dem eigenen Spiegelbild.
Auflage bricht ein
Die Teenager waren begeistert und lasen das Heft wenn nötig unter der Bettdecke. Bis in die 1990er-Jahre gingen wöchentlich über eine Million Hefte über den Ladentisch.
Das war einmal. Heute dümpelt die Auflage um die 140‘000 Exemplare herum und das Heft erscheint nur noch 14-täglich.
Keine Wunder. Wenn Justin Bieber sein Instagram-Konto deaktiviert oder die Lochis (die Zwillinge sind derzeit auf Youtube schwer angesagt) ein Konzert in einer Strassenbahn geben, weiss das der geneigte Teenager dank Smartphone sofort – nicht erst, wenn die nächste «Bravo» erscheint. Zahlreiche spezialisierte Angebote liefern Antworten auf Fragen zu Sex und Selbstbefriedigung oder Tipps gegen Liebeskummer und Pickel.
Die Jugend von damals gibt es nicht mehr
Nicht nur das Informationsangebot, auch die Zielgruppe der Jugendzeitschriften hat sich verändert, erklärt Bernhard Heinzlmaier, der seit über 20 Jahren in der Jugendforschung tätig ist: «In den 1960er- bis 1980er Jahren war die Jugend eine relativ homogene Gruppe mit denselben Bedürfnissen und Interessen».
Das habe sich heute ausdifferenziert in eine Fülle von Gruppen mit ganz unterschiedlichen Interessen. «Deshalb», so Heinzlmaier weiter, «kann eine Zeitschrift das Bedürfnis der Jugend nicht mehr abdecken, weil es diese Jugend nicht mehr gibt.»
Zudem habe eine «Bravo»-Redaktion, die immer auch einen pädagogischen Zugang zu ihren Lesern gepflegt hat, nichts mehr zu melden: «Das ist ja heute nur mehr peinlich.»
«Das wird alles verschwinden»
Diese Probleme hat zumindest teilweise auch der Hamburger Bauer-Verlag erkannt, der die «Bravo» seit 1968 herausgibt. Vor zwei Jahren überarbeitete er das Heft: weniger klassische Star-Berichte, mehr Einordnung und Orientierung zu «lebensnahen» Themen.
So konnte der Verlag den Auflagenschwund vorerst bremsen. Zudem setzt er verstärkt aufs Internet. Via soziale Medien will er die Jugendlichen wieder enger an das Heft binden.
Beitrag zum Thema
Vergebene Liebesmüh, findet Bernhard Heinzlmaier: «Das ist der letzte, untaugliche Versuch, etwas zu retten, das nicht mehr zeitgemäss ist. Das wird alles verschwinden.»
Das sind düstere Aussichten. Gut möglich also, dass die einst so begehrte «Bravo» ihren 70. Geburtstag nicht mehr erlebt.