Am Dienstag gab der Medienriese Bertelsmann bekannt, das traditionsreiche Nachschlagewerk Brockhaus aufzugeben. Gedruckte Lexika seien ökonomisch nicht mehr tragbar und der Vertrieb über den Buchhandel allein reiche nicht zum wirtschaftlichen Überleben aus, hiess es. Die Online-Aktualisierungen sollen noch sechs Jahre fortgeführt werden. Dennoch fällt mit dem Entscheid ein Grossteil der 300 Arbeitsplätze an den Standorten Gütersloh und München weg.
Ein wichtiges Stück Lexikon-Geschichte
Das traditionsreiche Lexikon wurde von Friedrich Arnold Brockhaus erstmals 1810 unter dem Namen «Conversations-Lexikon» herausgegeben. Noch heute steht der Name Brockhaus für eine Demokratisierung des Wissens und für ein wichtiges Medium in Zeiten der Aufklärung.
«Der Brockhaus steht aber auch für eine europäische Lexikontradition, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Wissen in einzelne Stichwörter aufgeteilt wird und alphabetisch sortiert ist – im Vergleich zu thematisch sortierten Lexika», erklärt Christoph Bläsi, Professor am Mainzer Institut für Buchwissenschaften und Gastprofessor an der Uni St. Gallen.
Wikipedia ist schneller, einfacher, aktueller
Brockhaus konnte diese führende Position unter den Lexika vom späten 18. Jahrhundert bis in die 1990er Jahre beibehalten. Ab dann wurde das immer populärer werdende Internet langsam zur Konkurrenz.
Christoph Bläsi, der selbst über fünf Jahre beim Brockhaus gearbeitet hat, sieht das Problem gedruckter Nachschlagewerke: «Natürlich kann man sich im Internet dasselbe Wissen oft einfacher, schneller, aktueller und kostenfrei aneignen. Gegenüber einem Printprodukt, das wie der Brockhaus in der Spitzenausstattung auch zuletzt noch 2500 Euro gekostet hat, eine echte Konkurrenz.»
Wichtige Bedeutung für Historiker
In der Tat: Ein nur periodisch erscheinendes, gedrucktes Lexikon dürfte im Zeitalter von Wikipedia für Viele etwa denselben Stellenwert haben wie ein Telefon mit Wählscheibe. Was verliert der vielseitig interessierte Leser denn mit der Einstellung des Brockhaus? Wohl nicht viel. Ein Problem wird die Einstellung des Lexikons vor allem für Historiker. Mit Hilfe von alten Brockhaus-Ausgaben kann man gut erforschen, wie sich die Welt und die Sichten darauf über die Jahre verändert haben.
Problem: Wissens-Archivierung
Solche Forschung wird in Zukunft schwerer, denn die meisten Internet-Publikationen lassen das nach heutigem Stand nicht zu. Zum Beispiel speichert das grösste Online-Archiv «Internet Archive» Webseiten nur punktuell. Wikipedia dokumentiert jede Artikeländerung. Dadurch wäre es theoretisch auch in 20 Jahren noch möglich zu schauen, wie ein Artikel früher aussah.
«Aber das gilt nur, wenn die Firma oder die geldgebende Stiftung die dahinter steht, in 20 Jahren auch noch in dieser Form existiert – eine Tatsache, die bei weitem nicht so sicher ist, wie das 200-jährige Bestehen des Brockhauses», findet Bläsi. Für die Wissensarchäologie geht in Zukunft ohne den Brockhaus jedenfalls eine wichtige Quelle verloren.