Nach dem Film «Das Herz von Jenin», der die Geschichte des Palästinensers Ismail Khatib und dem tragischen Tod dessen Sohnes erzählt, drehte Marcus Vetter einen zweiten Film in der Westbank. Gemeinsam mit Ismail Khatib und dem Übersetzer Fakhri Hamad beschloss der deutsche Regisseur, das heruntergekommene Cinema Jenin in der gleichnamigen Stadt wieder aufzubauen.
Das in den 1960er Jahren erbaute Kino zeigte bis 1987 arabische, japanische und amerikanische Filme. Die zweite Intifada führte zur Schliessung des Lichthauses. Mit der Absicht, die Völker einander wieder näherzubringen, wollten Vetter, Khatib und Hamad das Kino neu eröffnen – doch der Weg dahin war nicht leicht. «Cinema Jenin» dokumentiert diesen schwierigen Wiederaufbau.
Marcus Vetter, 2010 haben Sie das Cinema Jenin eröffnet. Wie geht es dem Kino heute?
Das Kino gibt es nach vier Jahren immer noch, es zeigt täglich Filme. Auf den Bühnen spielen Künstler Musik und Theater. Auch finden viele Workshops für Jugendliche statt. Seit vier Jahren erhalten acht Angestellte einen Monatslohn von 350 Euro. Das Gästehaus boomt. Täglich übernachten dort 20 bis 25 Leute. Doch das Kino ist noch nicht selbsttragend.
Der Film trägt den Titel «Cinema Jenin: Die Geschichte eines Traums». Ist der Traum in Erfüllung gegangen?
Mit viel Glück haben wir das Kino 2010 fertig gestellt. Das Projekt stand einige Male kurz vor dem Aus. Aber ob jemand diesen Traum weiterführt und ihn zu seinem eigenen macht, das weiss niemand. Das hängt davon ab, wer den Traum in die eigenen Hände nimmt und dem Kino eine Seele gibt. Sicher ist nur, dass dafür nur die Menschen vor Ort in Frage kommen.
Was ist dieser Traum?
Das Kino basiert auf dem Gedanken des Palästinensers Ismail Khatib, der die Organe seines getöteten Jungen israelischen Kinder spendete: Der Teufelskreis des Konfliktes zwischen Palästinenser und Israel kann durchbrochen werden und muss nicht im Hass enden. Der Traum handelt davon, dass selbst in einer Stadt wie Jenin, die vom Terrorismus dominiert wurde, ein Kino gebaut und etwas bewegt werden kann – sofern dahinter eine ehrliche Intention steckt.
Was war Ihr Rezept, in diesem Konfliktgebiet erfolgreich zu arbeiten?
Wichtig ist, dass man niemandem seine Ideen überstülpt. Die «Pflanze» muss die Möglichkeit haben, selbst zu wachsen, und muss im richtigen Moment in die Selbstständigkeit entlassen werden. Für mich war von Anfang an klar, dass ich als Deutscher dieses palästinensische Projekt mit internationaler Hilfe nicht weiterführen darf. Das müssen die Palästinenser selbst machen.
Das Projekt erlitt 2011 mit der Ermordung des israelischen Schauspielers, Filmregisseurs und politischen Aktivist Juliano Mer Khamis in Jenin einen herben Rückschlag. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Juliano Mer Khamis leitete seit 2006 das Freedom Theater in Jenin, das er von seiner israelischen Mutter übernommen hatte. Das Theater wurde wiederholt von konservativen Palästinensern angefeindet und Juliano Mer Khamis erhielt mehrere Morddrohungen. Die Situation wurde immer brenzliger und gipfelte in seiner Ermordung im April 2011 durch einen Unbekannten. Natürlich war davon auch unser Kino tangiert. Nicht alle Palästinenser unterstützen solche Projekte. Als Juliano starb, haben wir alle sehr viel verloren und mein Herz hat sich verschlossen.
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Haben Sie diese emotionale Zeit in Jenin verarbeitet?
Nein. Ich erhole mich heute noch, nach vier Jahren, sowohl finanziell als auch emotional. Es war sehr schwierig mit den Tausenden von Vorwürfen umzugehen, die unser Projekt weckte. Ebenso, jährlich die 50’000 Euro aufzubringen und gleichzeitig wieder Filme zu machen. Dieses Projekt brachte meine ganze Familie an ihre Grenzen.
Wie steht es um die Finanzierung des Kinos?
Cinema Jenin ist ein palästinensisches Projekt mit internationaler Hilfe. Seit 2011 führt Dr. Lamei Assir das Kino unentgeltlich. Die Kosten von rund 50’000 Euro sammeln immer noch wir in Deutschland durch Spenden oder Patenschaften. Das Ziel ist, dass das Kino die Kosten bald selber tragen wird. Doch bis dahin sind wir auf Spenden angewiesen – vor allem auf längerfristige Unterstützung. So suchen wir etwa Menschen, die das Monatsgehalt eines unserer Mitarbeiter unterstützen wollen.