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Menschenschlange in der Wüste
Legende: Eine Million Menschen wollen derzeit illegal durch Libyen durch Richtung Europa. Keystone

Gesellschaft & Religion Das Drecksgeschäft mit den Flüchtlingen im Transitland Libyen

Libyen ist zum Transitland geworden. Rund eine Million Menschen durchqueren das Land. Ziel: Europa. Das Geschäft blüht für Schlepper, Kriminelle. Für eine Bekämpfung des florierenden Geschäfts wäre eine internationale Zusammenarbeit nötig. Die gibt es nicht.

Der Mann ist Mitte 30. Er wirkt jugendlich und entspannt, trägt Freizeitkleidung. Er trifft uns in einem Privathaus in Misrata. Er heisst Salam Ismail und war in Gaddafi-Zeiten Kapitän eines Fischkutters. Danach hat er sich revolutionären Brigaden im Kampf gegen Gaddafi angeschlossen. Heute arbeitet er als Kommandant für die «Third Force». Sie hat die Aufgabe, die libyschen Südgrenzen zu beschützen.

Migranten zahlen ihre Schlepper mit Drogen

zerschossener Pickup
Legende: Die Ausrüstung der regulären libyschen Einheiten spottet jeglicher Beschreibung. ZVG / Beat Stauffer

Im Südwesten hat Libyen gemeinsame Grenzen mit Tschad, Niger und Algerien. «Die Grenzen zu diesen Ländern sind zurzeit faktisch nicht mehr kontrolliert», erklärt Ismail. Gründe dafür sind der Bürgerkrieg und der Kampf gegen IS-Zellen. Es gebe noch andere zahlreiche Herausforderungen, deshalb sehe sich die «Regierung des nationalen Heils» in Tripolis ausserstande, diese Grenzen zu überwachen. Die Bestände der Grenzwache seien viel zu klein. Es fehle zudem an geeigneter Ausrüstung, etwa an Drohnen, Helikoptern und wüstentauglichen Lastwagen.

Für Ismail stellen der Schmuggel von Drogen und das Schleusen von Migranten das grösste Problem dar. «Viele Migranten aus den Sahelstaaten und Westafrika bringen Drogen mit sich und bezahlen so ihre Weiterreise», erklärt Ismail. Dabei gehe es in erster Linie um das in Libyen verbotene Cannabis, aber auch um harte Drogen wie Kokain. Die Gefahr eines Eindringens von Jihadisten via Mali oder über den Norden Nigerias erachtet Ismail hingegen als weit geringeres Risiko.

Die Schlepper sind bekannt

Heruntergekommenes Schiff der libyschen Kustenwacht
Legende: Ein Boot der Küstenpatrouille: Schwimmender Schrott. ZVG / Beat Stauffer

«Wir kennen die meisten der Schlepper», sagt Ismail lapidar. Es handle sich um etwa zwei Dutzend Personen, von denen viele bereits unter Gaddafi im Schlepperbusiness tätig gewesen und in den letzten Jahren des alten Regimes inhaftiert gewesen seien. Kurz vor der Revolution liess Gaddafi diese Schlepper wie auch die meisten Kriminellen frei in der Absicht, das Land ins Chaos zu stürzen. Ismail sagt, er verfüge über deren Handynummern und über die Nummern der Kontaktleute in den libyschen Küstenstädten sowie in Italien.

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Für den Kommandanten der Grenzwache ist klar: Der Strom irregulärer Immigranten aus afrikanischen Ländern lässt sich allein über die Kontrolle der libyschen Südgrenzen wirkungsvoll stoppen. Nach seinen Beobachtungen vor Ort hält dieser Strom an Migranten und Flüchtlingen zurzeit an.

«Wenn Europa dieses Problem seriös angehen will, dann müssen sich die Verantwortlichen mit uns zusammensetzen», sagt Ismail. «Wir geben ihnen dann alle Informationen, auch über die Schleppernetzwerke, welche von Europa aus operieren.»

Libyen wird die Migranten ziehen lassen

Seine Mitarbeiter hätten Dutzende von Handys und Laptops beschlagnahmt und verfügten über viele detaillierte Informationen. Sollte es aber zu keiner Zusammenarbeit kommen, so fährt Ismail fort, so werde die Regierung in Tripolis wohl keine andere Möglichkeit haben, als die Migranten weiterziehen zu lassen. Denn die Kontrolle, Festnahme, Unterbringung und allfällige Rückschaffung der heimlichen Migranten sei mit einem gewaltigen Aufwand verbunden, den sich Libyen angesichts der angespannten Verhältnisse nicht leisten könne.

Wie andere Fachleute vor Ort schätzt auch Ismail die Zahl von heimlichen Migranten in Libyen auf rund eine Million. Er könne die Angst Europas vor dem Ansturm von Flüchtlingen nachvollziehen, sagt Ismail. Doch Libyen bezahle einen sehr viel höheren Preis als Europa. Und sein Land habe bis jetzt kaum Hilfe erhalten, um das Flüchtlingsproblem zu lösen.

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