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Eine BAnk am Ufer des Sees in Sils Maria.
Legende: Am Silsersee küsste die Muse die Denker und Künstler. Flickr/Bino

Gesellschaft & Religion Das Engadin – eine Inspirationsquelle für Freigeister

Inmitten von Seen, Gletschern und verwinkelten Seitentälern liegt ein Juwel der Schweizer Natur: Das Engadin. Es war jahrzehntelang ein Anziehungspunkt und Inspirationsquelle für Künstler, Dichter, Freigeister und Einzelgänger. Allen voran für Friedrich Nietzsche.

Zahlreiche Genies unterschiedlichster Tätigkeitsfelder haben sich über die Jahrzehnte wiederholt im Engadin aufgehalten. Was könnte der Grund dafür sein?

Peter André Bloch: Ich denke, es hat mit einem Wunsch nach Entschleunigung und der Besinnung auf das Wesentliche zu tun. Auf 1800 Metern ü.M. steht man zwischen Himmel und Erde, ist umgeben von unermesslicher Schönheit. Und erlebt darin eine grandiose Stille, die nur von den Geräuschen des Lebens bespielt wird.

Diese Stille wurde speziell von Komponisten und Literaten geschätzt. Yehudi Menuhin etwa hat sich an der Stille des Engadins kaum satt hören können und schrieb auf Isola darüber einen wunderbaren Text.

Peter André Bloch

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Peter André Bloch ist Professor für Germanistik. Er verwaltet das Nietzsche-Haus in Sils Maria. Dort wohnte der Philosoph sieben Sommer lang, weil ihm das Klima im Engadin zusagte.

Wer war denn ausser Menuhin alles im Engadin?

Das ist eine kaum enden wollende Liste an grossen Persönlichkeiten. Allen voran wären Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann und Hermann Hesse zu nennen, die immer wiederkehrten. Auch Karl Kraus, Marcel Proust, Robert Musil, Rabindranath Tagore, Richard Wagner, C.G. Jung, Thomas Bernhard und Annette Kolb waren gern gesehene Gäste im Hotel Waldhaus in Sils. Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch waren ebenfalls Engadin-Liebhaber.

Von den Künstlern waren es Giovanni Segantini, Ferdinand Hodler, Cuno Amiet, Giovanni und Alberto Giacometti. Zudem gab es den sehr jungen Gast Anne Frank: Sie war als Achtjährige in Sils Maria und schrieb in ihrem Tagebuch, sie hoffe nach dem Krieg Filmstar zu werden, um dann als weisser Schwan über die vereisten Seen des Oberengadins zu tanzen. Gegenwärtig ist die Schriftstellerin Donna Leon jedes Jahr Gast im Waldhaus in Sils-Maria.

Entstand die grosse Popularität des Engadins als Ort der Inspiration insbesondere durch Nietzsche?

Durchaus. Dies hängt vor allem mit seinem Werk «Also sprach Zarathustra» zusammen, dessen Schauplätze zu grossen Teilen im Engadin zu verorten sind. Darin wird der Lebenstanz eines Weisen beschrieben, der auf seinen Wanderungen vielen Leuten begegnet, die er zu einem kreativen Lebenswandel auffordert. Der neue Mensch der Moderne – unabhängig und selbstständig – ist also im Engadin entdeckt worden.

Es ist nicht zu unterschätzen, welche Sogwirkung Nietzsches jahrelange Präsenz in Sils Maria auf andere Geistesgrössen gehabt hat: von André Gide, Theodor W. Adorno über Gottfried Benn bis hin zu Pablo Neruda. Sie reisten alle ins Engadin.

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Was faszinierte Nietzsche am Engadin?

Da Nietzsche seine Gedanken am besten wandernd entwickeln konnte, war er täglich 5 bis 7 Stunden unterwegs, die Natur und sich selbst beobachtend. «Die gesamte Schönheit wirkte zum Schaudern und zur stummen Anbetung des Augenblicks ihrer Offenbarung», schreibt er 1879 und wähnte sich im Paradies.

Für ihn spielten der blaue Himmel, das reine Licht, die schneebedeckten Gipfel und das klare Wasser eine grosse Rolle. Er war fasziniert von der Schönheit, aber auch von der Unbeherrschbarkeit der Hochebene, und den silbernen Farbtönen der Natur.

Segantini versucht, die Einzigartigkeit dieser Naturlandschaft auf die Staffelei zu bringen, Nietzsche hingegen sie in klingende Sätze zu verwandeln. Der eine blendet mit Farben, der andere mit Gedanken.

Wie hat sich die Landschaft in und um das Engadin in den Werken anderer Genies niedergeschlagen?

In vielen Werken erscheint die Landschaft als Genesungsstätte, Rückzugsort und Selbstfindungsraum. Thomas Manns «Zauberberg» zum Beispiel spielt grösstenteils im Sanatorium Schatzalp oberhalb Davos, Max Frischs «Stiller» zum Teil in Pontresina, Friedrich Dürrenmatts «Stoffe» im Fextal. Das Engadin ist immer wieder Ort grosser Veränderungen. Rilke und Hesse überwanden hier tiefe Depressionen und Schreibblockaden.

Wie viel von diesem alten und hochgelobten Engadin ist denn heute noch erhalten?

Nebst der grandiosen Schönheit der Natur sind es oft die Erinnerungen, die es für viele so interessant machen. Unsere heutige Sicht des Engadins ist durch und durch von diesen Künstlern geprägt: Man kann den Silsersee nicht mehr betrachten, ohne an die Gemälde von Segantini oder Giacometti oder die Gedichte Nietzsches zu denken.

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