Jahrzehntelang füllten Hispanics durch Zuwanderung und Nachwuchs die Lücken, die weisse Anglo-Amerikaner durch ihre Kirchenaustritte hinterliessen. Noch heute bilden die meist aus Mexiko stammenden Gläubigen rund 55 Prozent der US-katholischen Basis. Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich immer mehr Latinos von eben dieser Kirche verabschiedet.
Massive Verluste
Allein in den letzten vier Jahren ist ihr Anteil um happige 12 Prozent eingebrochen. Bereits jeder vierte Latino bezeichnet sich heute als «ehemaliger Katholik». Zu diesem Befund kam eine im letzten Frühling veröffentlichte Studie des angesehenen PEW-Forschungs-Instituts in Washington DC.
Rund ein Sechstel aller US-Latinos hat inzwischen zu protestantischen Kirchen gewechselt. Vor allem evangelikale Gruppierungen verzeichnen rapiden Zulauf. Fast die Hälfte aller Abtrünnigen findet, Evangelikale gingen aktiver auf die Menschen zu und würden ihre Mitglieder besser unterstützen.
Ursachen lange ignoriert
In der US-katholischen Kirchenführung hat man das Problem erkannt. «Es passiert etwas, aber es passiert zu langsam», erklärt Pfarrer Chuck Dahm. Unter seiner Leitung wurde die römisch-katholische St. Pius V-Kirche in Chicago zu einer der aktivsten hispanischen Pfarreien von ganz Illinois.
Zu lange waren die von Anglos geführten Gotteshäuser den Einwanderern aus Lateinamerika verschlossen geblieben. Noch heute sind Spanisch sprechende Kirchenvertreter in US-katholischen Pfarreien Mangelware. Spanische Gottesdienste haben jenseits hispanischer Ballungszentren wie Chicago, Los Angeles oder San Antonio nach wie vor Seltenheitswert.
Zweierlei Katholizismus
Doch es mangelt nicht nur an Spanischkundigen. Es fehlt auch vielerorts die Erkenntnis, dass Katholizismus in Südamerika anders gelebt wird als im nördlichen Pendant: ganzheitlicher, sinnlicher, fröhlicher, farbiger – und mit sehr viel Musik und Gesang. «Der US-Katholizismus ist äusserst kopflastig», erklärt Virgilio Elizondo, Professor an der renommierten katholischen Notre Dame University in Indiana. «Wir Hispanics empfinden ihn als etwas kalt.»
Die Probe aufs Exempel in Chicago und San Antonio macht deutlich: Wo katholische Pfarreien auf Sprache, Kultur, Bedürfnisse und Probleme der Latinos eingehen, sind die Gemeinschaften vital und die Kirchen voll gepackt: mit hispanischen Gläubigen, die aus Leibeskräften beten, singen – und mitunter auch laut und herzhaft lachen.
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Düstere Aussichten
Ob aber der hispanische Mitgliederschwund auf lange Sicht gestoppt werden kann? Latinos wenden sich nämlich nicht nur immer häufiger vom Katholizismus ab. Viele steigen nach ein zwei Wechseln zu anderen Glaubensrichtungen ganz aus der Religion aus. In der zitierten PEW-Studie ist die Zahl jener, die sich als konfessionslos bezeichnen, bereits gleich gross wie jene der Evangelikalen. Junge Hispanics verabschieden sich in noch rascherem Tempo und in noch grösserer Zahl.
Für Timothy Matovina, Direktor für Latino Studies an Notre Dame University, stehen letztlich alle Kirchen, nicht nur die katholische, vor einer Herkules-Aufgabe: «Wie geben wir unseren Glauben an eine junge Generation weiter, die in ihrem täglichen Leben so viele andere Möglichkeiten hat?»