Was für ein Auftritt: Zwischen dem historischen «Fort Saint Jean», das seit Jahrhunderten die Zufahrt zum alten Hafen von Marseille bewacht, vor der hoch emporragenden, kitschig-neoromanischen Kathedrale «La Mayor» und den weiten, modernen Hafenanlagen steht das MuCEM – das am neu eröffnete «Musée de civilisations d’Europe et de la Mediterranée».
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Entworfen wurde es vom südfranzösischen Architekten Rudy Ricciotti. Der italienisch-stämmige Franzose Ricciotto ist in Algerien geboren und wurde 2006 mit dem «Grand Prix national der l’architecture» ausgezeichnet, der vom französischen Kulturministerium vergeben wird.
Beeindruckende Architektur
Das Museum ist ein Kubus, 72 auf 72 Meter, streng westlich-rational. Doch die Fassade schimmert geheimnisvoll schwarz, spiegelt die Altstadt und das im April eingeweihte Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum Villa Mediterranée. Zur Sonne hin glitzert das Licht durch ein Netz aus tausenden dunkelgrauen Betonstäben – fester Beton, der gegen das schroffe Klima unempfindlich sein soll.
Gezeigt werden im MuCEM drei Dauerausstellungen: die agrarische Welt des Mittelmeerbeckens, der Traum vom Religionsfrieden in Jerusalem – allzu idyllisch gezeichnet, sowie der Kampf für Bürger- und Menschenrechte. Letztere von Athen bis über die südfranzösisch-italienischen Stadtrepubliken, von «la Grande Revolution» bis hin zum Berliner Mauerfall.
Alle Medien mischen sich: grosse und kleine Filme, erstklassige Kunstwerke, einfache Alltagsgegenstände und schlichter Nippes. Reichlich Irritation inklusive: Die Hütte dort, ist sie aus Afrika? Nein, es ist eine Sommerbehausung französischer Bauern.
250'000 Objekte warten im Depot
Ausserdem wurden 250‘000 Objekte aus dem einstigen Pariser Museum für französische Volkskunde nach Marseille geschafft. Sie lagern jetzt in dem von Corinne Vezzoni entworfenen neue Forschungs- und Depotgebäude des Museums.
Der klare, helle Bau mit dem weiss strahlenden Innenhof ist eine Idylle in der Grossstadt, zugleich aber auch nahe dem Hauptbahnhof, dem Publikum und der Universität. Weniger gut: Das MuCEM hat derzeit kein Geld, um feste Restauratorenstellen zu besetzen. Dabei braucht es die, um den Lebensfluss, der nun im Hauptgebäude am Meer begonnen hat, zu kräftigen.
Bis zu sechs Sonderausstellungen pro Jahr
Denn bis zu sechs Sonderausstellungen sollen im Jahr gezeigt werden. Das Vorbild des ethnologischen «Musée Quai Branly» in Paris für diese Strategie ist unverkennbar. So werden derzeit in einer ersten Sonderausstellung unter dem Titel «Bleu et Noir, der Traum vom Mittelmeer» die Folgen von unterwerfendem Kolonialismus und dem Aufstand dagegen, von engstirnigem Nationalismus, Ausbeutung und Armut gezeigt.
In einer anderen Ausstellung wird nach Männlichkeit und Weiblichkeit im Süden gefragt. Zu sehen ist der Kampf um Frauenrechte und die sehr unterschiedlichen Bedeutungen, die ein Schleier haben kann. Machismo, Barbie-Kulte für Mädchen und Werkzeugspielzeug für Jungen. Aber auch die Emanzipation von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und deren oft durchaus berechtigte Angst, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wird thematisiert.
Kein Aspekt fehlt, der Radikale liberaler, linker oder reaktionärer Art zu Wutausbrüchen bringen könnte. Das Museum als ein Debatten- und Streitinstrument. Gut so.