SRF: Welche Unterschiede haben Sie bei der Berichterstattung zwischen den klassischen und den neueren Medien ausgemacht?
Peter Hogenkamp: Alle wollen natürlich sehr aktuell sein und bemühen sich, Social Media einzubinden. Dadurch hat man seine Korrespondenten vor Ort. Das gelingt unterschiedlich gut. Insbesondere beim Fernsehen merkt man, dass sie unter einen enormen Zeitdruck kommen, wenn sie versuchen, die neusten Twitter-Meldungen in die aktuelle Berichterstattung einzubinden. Da macht sich oft ein Stück weit Ratlosigkeit breit, wenn man versucht, das wirklich live zu machen.
Der Zeitdruck kommt also von den sozialen Medien und zeigt sich dann in den klassischen Medien, zum Beispiel im Fernsehen, das noch gar nicht so viel berichten kann?
Das Problem ist, dass alle genau gleichviel wissen. Im Prinzip sitzen am Anfang alle an der gleichen Quelle, den sozialen Medien. Es gibt immer irgendwelche Leute vor Ort, Augenzeugen, die Aufnahmen machen. Das ist das Neue. Die Journalisten können eigentlich nur diesen Nachrichtenstrom analysieren, den auch jede Privatperson analysieren kann. Dadurch kommen die Leute im Fernsehen, die als Korrespondenten professionelle Einschätzungen abgeben sollen, in einen enormen Stress.
Was macht das mit der Qualität der Berichterstattung in den klassischen Medien?
Ich will nicht sagen, dass es notwendigerweise die Qualität verschlechtert. Oft sitzt man aber vor dem Fernseher und erlebt diese Momente der Ratlosigkeit, in dem sich das Fernsehen gezwungen fühlt, eine Live-Schaltung zu machen. Man merkt, die Frau, die da steht, die weiss noch gar nichts. Die kann gar nichts sagen, nur ob es auf den Strassen ruhig ist oder nicht. Man denkt, vielleicht hätte man eine halbe Stunde warten sollen, bevor man sowas macht. Andererseits scheint das schwer möglich, weil ja sämtliche Online-Medien die Diskussion im Minutentakt befeuern. Dann erwartet man natürlich, dass das Fernsehen nachzieht.
Teilen Sie den Eindruck, dass bei fehlenden Fakten einfach auf Emotionen gesetzt wird? Setzt sich bei den klassischen Medien eine Boulevardisierung durch?
Das gibt es natürlich schon, dass man sagt: «Wir haben eigentlich nichts zu berichten, also zeigen wir einen besonders berührenden Facebook-Eintrag, der weder die Nachrichtenlage wiedergibt, noch die Situation weiterbringt.» Ich würde das aber nicht generalisieren. Ich würde nicht sagen, dass das alle machen. Ich finde, dass sich mittlerweile viele Redaktionen sehr bemühen, Social Media sinnvoll einzusetzen. Man merkt, da sind jetzt Leute in den Redaktionen, die gewohnt sind, damit umzugehen, die das wertsteigernd einsetzen können.
Bei den Anschlägen in Paris haben «Spiegel Online» und andere Portale laufen die neusten Fakten zusammengefasst und Falschmeldungen korrigiert. Ist das eine neue Entwicklung?
Das ist eine Art des Online-Mediums erwachsen zu werden. Wir sind jetzt ungefähr zwanzig Jahre dran. Ich denke, man hat schon einiges gelernt. Die zweite Generation der Journalisten, die berühmten «digital natives», ist jetzt auch in den Redaktionen. Es gibt diese stehenden «best practices»: Sachen, die sich irgendjemand ausgedacht hat, die andere für gut befanden und dann übernommen haben. Zum Beispiel: «Zu Beginn jedes Livetickers schreiben wir nur Übersicht, das ist gesichert, das nicht …» Ich denke, dass ist eine reifere Art mit dem Thema Online-Berichterstattung umzugehen.
Wie können es Medien bei so einem Ereignis schaffen, eine adäquate Berichterstattung zu leisten?
Man muss sich in den Nachrichtenräumen immer wieder fragen, was zur Aufklärung beiträgt und was eher effekthascherisch ist. Man darf sich dann nicht von den Boulevardmedien treiben lassen, die das natürlich nach wie vor machen. Seriöser Journalismus kann zu einer höheren Qualität kommen, auch durch den Einbezug von Social Media.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.11.2015, 17.15 Uhr.