Hans-Ulrich Wehler, einer der wichtigsten Historiker Deutschlands, ist tot. Er sei am Samstag im Alter von 82 Jahren in Bielefeld gestorben, bestätigte Wehlers Freund und Kollege Jürgen Kocka am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa.
Der in Freudenberg bei Siegen geborene Wehler gilt als einer der Väter der «Historischen Sozialwissenschaft». Ausserhalb der Fachwelt wurde er in Westdeutschland einem breiteren Publikum mit dem «Historiker-Streit» von 1986 bekannt. In dieser zeitgeschichtlichen Kontroverse debattierten zahlreiche deutsche Historiker, Journalisten und Autoren die Frage der Einzigartigkeit des Holocausts – und welche Rolle dieser für das Geschichtsbild Deutschlands spielen sollte.
«Wie auch Jürgen Habermas, mit dem Wehler befreundet war, gehört er zu dieser ‹Generation '45›. Eine Generation, die gerade noch den Nationalsozialismus selbst mitbekommen hat – auch seine Verführungskraft. Diese Generation war fest davon überzeugt, dass es ein besseres Deutschland geben müsste und geben könnte. Das waren wichtige Motive für Wehlers intellektuelle und wissenschaftliche Anstrengungen», sagte der Sozialhistoriker Kocka.
Harvard, Princeton, Standford – und immer wieder Bielefeld
Auch zu aktuellen Themen äusserte er sich, verlangte etwa mehr Integration von Einwanderern, kritisierte grosse Einkommensunterschiede in Deutschland und forderte einen Mindestlohn. In seinen Arbeiten ging Wehler stärker auf langfristige politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen und Prozesse als auf Menschen und Ereignisse ein – ein Punkt, den ihm seine Kritiker vorwarfen.
Wehler lehrte von 1971 bis zu seiner Emeritierung 1996 in Bielefeld. Dort baute er in den frühen 70er-Jahren die Geschichtsfakultät an der neugegründeten Universität mit auf. Wehler hatte ausserdem Gastprofessuren an den US-Universitäten Harvard, Princeton und Stanford inne.
Ein Standardwerk der deutschen Geschichtsschreibung
Im Jahr 2008 vollendete Wehler nach mehr als 25 Jahren sein Opus Magnum, die fünfbändige «Deutsche Gesellschaftsgeschichte» über die Zeit von 1700 bis 1991 – ein Standardwerk der deutschen Geschichtsschreibung. Im letzten Band geht er mit der DDR hart ins Gericht. Jener Staat sei «in jeder Hinsicht gescheitert», und zwar von Beginn an, «mit der zentralen staatlichen Planwirtschaft und beim Umbau der Gesellschaft».
Ein Klassiker ist zudem seine 1973 erschienene Analyse des Deutschen Kaiserreichs, die auch auf Italienisch, Japanisch, Englisch, Schwedisch und Koreanisch herauskam.