«Wenn Sie in Paris reich werden wollen, sollten Sie Klempner werden», lautet der nicht ganz ernstgemeinte Rat von Danielle Bernard-Bonnefoy. «Aber diesen Beruf will keiner lernen. Ganz generell gibt es in den Köpfen der Franzosen nur einen Bildungsweg. Und der führt über die Matur.»
Danielle Bernard-Bonnefoy hat während 41 Berufsjahren als Deutschlehrerin in ganz unterschiedlichen Lycées in Paris gearbeitet: vom Elitegymnasium bis zur Klasse mit Schülern ohne einen einzigen französischen Namen. Immer begleitete sie die Schüler im Rennen um das «Bac», wie die Franzosen die Matura nennen.
Die grosse Mehrheit hat das «Bac»
Während heute in Frankreich durchschnittlich 90 Prozent der Maturanden die Matur bestehen, waren es in den 1970er-Jahren noch etwas mehr als 70 Prozent.
Man kennt die Tendenz zur Akademisierung auch in der Schweiz. Hierzulande liegt aber die Maturitätsquote gemäss Bundesamt für Statistik aktuell bei nicht einmal 40 Prozent.
In Frankreich wurde der Grundstein für die hohe Maturitätsquote in den 1980er-Jahren gelegt. Das Bildungsministerium formulierte das Ziel, dass 80 Prozent der Schüler das «Bac» erlangen sollen. Im Jahr 2015 wurde diese Vorgabe fast erreicht: 77,2 Prozent haben mit dem «Bac» abgeschlossen.
Für Bernard-Bonnefoy ist klar: «Diese Vorgabe wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.» Die Rolle der Lehrer in dieser Entwicklung auch nur anzusprechen, erfährt sie als eines der grossen Tabus im französischen Bildungssektor.
Gleichmacherei in der Schule
Die letzte fundamentale Reform erfuhr das französische Schulsystem 1975 mit dem Wegfall der Prüfung für den Übertritt von der École élémentaire (Primarstufe) ins Collège (Sekundarstufe). Während also vorher viele Schüler ihre Schulpflicht auf einer niederen Stufe erfüllten, setzen sie nun ihre schulische Karriere fort. Das hatte Folgen.
Innerhalb des Collège gibt es grundsätzlich keine Leistungsstufen. Und so wird an vielen Schulen das Niveau mit Rücksicht auf die schlechten Schüler gesenkt. «Egalitarisme» heisst das französische Schimpfwort dafür: Gleichmacherei.
Auch die Prüfung vor dem nächsten Schulstufenwechsel ist längst zur Farce geworden: «Die Lehrer wissen, dass von ihnen erwartet wird, alle Kinder ins Gymnasium zu bringen. Entsprechend lax fallen die Prüfungen aus», erklärt Danielle Bernard-Bonnefoy. Und das gleiche Problem wiederhole sich beim Abschluss mit der Matura.
Im aufwändigen Verfahren werden die Matura-Prüfungen gemischt, damit niemand seine Schützlinge bevorteilen kann. Aber: «Jeder kennt das Niveau der eigenen Schüler und korrigiert entsprechend milde.»
Das Ziel: «Un sac Prada!»
Auch ein zweiter Faktor hat sich an französischen Schulen verändert: die Klientel und ihre Ansprüche. «Es herrscht ein Kampf zwischen Esprit und Portemonnaie», stellt Bernard-Bonnefoy fest. Viele ihrer Matura-Schüler wollten vor allem eines: möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen. Oder: «Un sac Prada!»
Der Vorwurf ans Schulsystem laute, man lehre in der Matur nichts Nützliches. Aber aufs «Bac pro», wo die Schüler auf einen spezifischen Beruf wie Automechaniker oder Kaufmann vorbereitet werden, wollen die Eltern ihre Sprösslinge nicht schicken.
Wer das «echte» Bac (also eine der klassischen Vertiefungsrichtungen) nicht hat, gilt in Frankreich oft als Versager. Dabei zeigen die Statistiken, dass weniger als die Hälfte der Studieneinsteiger das erste Jahr bestehen.
Franzosen hätten Alternativen zur Matur. Aber für kaum jemand sind sie die erste Wahl. Und so bleibt die Adresse eines zuverlässigen Klempners in Paris ein rares Gut.