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Ein libanesischer Schiite feiert mit seinen muslimischen Glaubensbrüdern ein zeremonielles Trauerfest.
Legende: Der Islam hat viele Gesichter. Im Bild: Libanesische Schiiten anlässlich des Trauerfests Muharram. Keystone

Gesellschaft & Religion «Der Islam ist nicht nur schwarz oder weiss»

Der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad hat sich viele Feinde geschaffen. Er sagt, dass die faschistoiden Züge des Islam nicht erst mit dem Aufstieg der Muslimbrüder entstanden, sondern in der Urgeschichte des Islam begründet seien. Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji widerspricht.

Amira Hafner-Al Jabaji, was sagen Sie zurThese von Hamed Abdel-Samad, dass faschistoide Züge im Ur-Islam angelegt seien?

Zur Person

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Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji
Legende: SRF

Amira Hafner-Al Jabaji wurde 1971 als Tochter eines Irakers und einer Deutschen in Bern geboren. Sie studierte Islamwissenschaften, vorderorientalische Philologie und Medienwissenschaften. Die praktizierende Muslimin arbeitet seit 1996 freischaffend als Referentin und Publizistin zu den Themen Islam und interreligiöser Dialog.

Amira Hafner-Al Jabaji: Ich halte diese These für ein denkerisches Konstrukt. Sie ist absurd, weil die Geschichte zeigt, dass die islamische Hochkultur zu Beginn ihrer Entstehung blühte und engstirnige religiöse Gruppen, wie wir sie heute kennen, nicht existierten. Abdel-Samads Kritik an der Geisteshaltung politisch islamistischer Parteien hingegen teile ich.

Können Islamismus und Faschismus überhaupt miteinander verglichen werden?

Es ist problematisch, mit diesen beiden historischen Begriffen zu operieren. Analogien zwischen dem Islamismus und dem Faschismus aufzuzeigen ist das Eine. Das Andere ist, die These auf den Ur-Islam zurückzuführen. Das ist Unsinn!

Er argumentiert weiter, dass der unbedingte Gehorsam, die Meinungseinschränkung und das Streben nach Weltherrschaft des Islam alle anderen Aspekte dieser Religion dominieren. Stimmt das?

Für die heutige Situation trifft das zum Teil zu. Spiritualität, Tugenden und Werte wie Mässigung, Demut und Milde, die der Islam fordert, werden oft vernachlässigt. Aber Abdel-Samad kritisiert eine Einstellung, die er selber an den Tag legt. Als ob man ein brennendes Haus mit einem brandbeschleunigenden Mittel löschen wollte.

Seine Thesen haben zu Morddrohungen gegen ihn geführt. In Ägypten wurde gar ein Todesurteil ausgesprochen. Ist das gerechtfertigt?

Es gibt kein Recht, den Tod einer Person zu fordern, die seine Meinung frei kundtut. Ich habe Respekt vor seinem Mut und ich verteidige sein Recht auf Glaubens- und Meinungsfreiheit. Aber ich teile seine Grundthesen überhaupt nicht.

Buchhinweis

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Buchautor Hamed Abdel-Samad
Legende: Keystone

Hamed Abdel-Samad: «Der islamische Faschismus. Eine Analyse.» Droemer/Knaur, 2014.

Hamed Abdel-Samad: «Abschied vom Himmel. Mein Leben zwischen Gewalt und Freiheit.» Droemer/Knaur, 2014.

Abdel-Samad spricht von der Gefahr der Radikalisierung junger Muslime in Europa. Er plädiert für ein Verbot salafistischer Vereine. Wo sehen Sie Möglichkeiten, die Tendenz zur Radikalisierung einzudämmen?

Aus innerislamischer Sicht ist eine verstärkte Initiative für eine umfassende und ganzheitliche ausgerichtete Glaubensvermittlung gefragt, die sich von einem Anspruch an Unfehlbarkeit und Überlegenheit distanziert. Heute vermitteln islamische Gelehrte in Europa oft selektiv Aspekte der Religion. Lehrerinnen und Lehrer sind nötig, die auf die spezifischen Anliegen junger Muslime in Europa eingehen und die Heranwachsenden in ihrer Entwicklung hin zum Bürger eines Landes unterstützen.

Was kann die westliche Gesellschaft dazu beitragen?

Die Mehrheitsgesellschaft, oft repräsentiert durch die Medien, soll den Islam nicht mehr Pauschalisieren, sondern einen differenzierten Dialog über ihn und mit den Muslimen führen. Der Islam ist nicht nur schwarz oder weiss, es gibt nicht nur pro oder contra Islam. Viele Muslime in der Schweiz leben in einem ständigen Loyalitätskonflikt: Sie wollen Bürger dieses Landes sein und gleichzeitig ihre Religion leben. Sie sollen nicht länger vor die Wahl gestellt werden. Das bedeutet aber auch, dass sie sich vermehrt zu allgemeinen Themen einbringen und nicht nur zu religiösen Fragen Position beziehen.

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