Auf der Wetterkarte der Westschweizer Ausgabe einer Pendlerzeitung endet die Suisse Romande in Neuenburg. Der Jura, egal ob er zu Bern gehört oder zur République et Canton du Jura, erscheint als weisse Fläche. «Ich weiss nicht, ob sie das Wetter in La Chaux-de-Fonds oder in der Ajoie zeigen», sagt dazu sarkastisch Camille Rebetez, 36, Theaterautor, Mitbegründer der Off-Theatergruppe «Théâtre Extrapol» und Mitglied des Stadtparlaments der jurassischen Kantonshauptstadt Delémont.
Zwei Juras – dieselben Probleme?
Die Lage des Kantons am Rand der Romandie, vom Genferseebogen und von der Deutschschweiz aus gesehen in und hinter den Bergen, stimme schon nachdenklich. «Ich bin Jurassier, aber keiner mit erhobener Faust», erklärt er. Er sei auch Romand und zudem frankophon. «Vielleicht bin ich – vor allem anderen – frankophon. Mit dem ganzen internationalen Geist der Frankophonie»
Spielt es für die ihn und die anderen jurassischen Künstlerinnen und Künstler eine Rolle, dass die drei Berner Bezirke Moutier, Courtelary und La Neuveville und der Kanton Jura nicht zum selben Kanton gehören?
Rebetez antwortet: «In der Juraregion fehlt es uns dermassen an Infrastruktur, dass man sich diese politische Frage gar nicht stellt. Man fragt sich: Wo könnten wir ein Stück aufführen, ohne ein ganzes Theatergebäude aufbauen zu müssen?» Wolle man eine Oper aufführen, nehme man eine Scheune und baue darin ein Opernhaus auf. «Wir denken sehr, sehr pragmatisch.»
Viele Ausgewanderte kehren zurück
Germain Meyer, 67, Theaterregisseur und Gründer mehrerer Festivals und Kulturverbände, bestätigt, dass die Kulturinfrastruktur in der Region sehr dürftig ist. Meyer, der 12 Jahre in Chiapas (Mexiko) mit Indigenen Theaterprojekte erarbeitete und seit 30 Jahren in Moutier lebt, stellt fest, dass es unausweichlich ist, zur Ausbildung oder für eine Existenz als Künstler den Jura zu verlassen.
In letzter Zeit bemerkt er jedoch einen Wandel: Für viele jüngere Leute würden Kunst und Kultur nicht mehr in erster Linie Karriere, Prestige und Medien-Aufmerksamkeit bedeuten. Ein Leben als Kulturschaffende sei für sie ein Lebensstil, zu dem auch ein gutes Sozialleben gehöre. Dafür biete die Region gute Voraussetzungen. «Der Jura ist kulturell keine Wüste», sagt Meyer, «ganz im Gegenteil». Viele Ausgewanderte seien deshalb in den Jura zurückgekommen. Wie auch Camille Rebetez und seine Lebensgefährtin, die Regisseurin Laure Donzé.
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Aufbauarbeit: Kanton Bern ist ausgestiegen
Laure Donzé, 34, Mitbegründerin des «Théâtre Extrapol» und ebenfalls Absolventin des Theaterstudiums an der Universität von Montreal, präsidiert das «Forum interjurassien de la culture». An den Strukturen wird jetzt gebaut, vor allem vom Kanton Jura aus. Das «Forum» ist der Dachverband, der die Anliegen der nord- und südjurassischen Kulturorganisationen bündelt. Zudem bietet der Kanton Jura, als einziger Kanton in der Schweiz, eine Theater-Matur an. «Eigentlich paradox, verfügt doch der Kanton über kein festes Theater.»
Dieses Problem dürfte laut Donzé bald gelöst sein, weil CREA, das «Centre Interjurassien d’Expression des Arts de la Scène», daran arbeite. CREA war der jüngste grosse Sündenfall in den kulturellen Beziehungen zwischen der Juraregion und dem Kanton Bern, denn 2010 stieg Bern aus diesem gemeinsamen Projekt mit dem Kanton Jura aus.
Das Vorhaben werde nun halt lediglich vom Jura subventioniert, sagt Donzé, aber «die Türen von CREA werden auch allen frankophonen Kreativen aus dem Berner Jura offen stehen.» Es wäre absurd, einen Unterschied zu machen. Logisch wäre, dass der Kanton Bern auch zum Funktionieren einer solchen Einrichtung beiträgt. «Aber im aktuellen politischen Kontext ist das alles andere als gegeben.»
Ungleichgewicht der Subventionen
Bei Subventionen für Kulturereignisse zum Beispiel in Moutier investieren heute beide Kantone zu gleichen Teilen, obwohl die Veranstaltung auf Berner Gebiet stattfindet. «Das ist eine der Befürchtungen der Kulturinstitutionen im Berner Jura: Dass sie diese substantielle Hilfe aus dem Kanton Jura nicht mehr erhalten, wenn die Abstimmung vom 24. November im Berner Jura ein «Nein» ergibt. Bei den Kultursubventionen existiert oft eine Disproportion zwischen der Grösse der beiden Kantone und den Mitteln, die sie der Kultur zukommen lassen», sagt Donzé.
Auf institutioneller Ebene wird der Graben zwischen dem Nord- und dem Südjura also sichtbar, in den Köpfen der Kulturschaffenden dagegen ist die Kantonsgrenze nicht vorhanden. Das bestätigen sowohl Donzé und Rebetez als auch Meyer.
Er erinnere sich nicht, dass die Kantonszugehörigkeit oder die Haltung in der Jurafrage unter Künstlerinnen und Künstlern eine Rolle spielen würde, sagt Meyer und: «Ich sträube mich nicht, mit jemandem zusammenzuarbeiten, nur weil er Pro-Berner ist. In der Beziehung, die man als Künstler mit jemandem aufbaut, geht es um die Qualität der Person und ihrer Ideen, um Austausch und um Gedanken.» Ob einer auf der oder jener Seite stehe, sei unwichtig. Die allgemeine politische Haltung sei wichtiger als eine pro-bernische oder pro-jurassische Position.
Wird die Abstimmungsvorlage wirklich verstanden?
Zurück zur Abstimmung vom 24. November. Die Frage, die den Stimmberechtigten des Berner Juras (und in leicht anderem Wortlaut denen des Kantons Jura) gestellt wird, lautet: «Wollen Sie, dass der Regierungsrat unter Beachtung des Bundesrechts und der beiden betroffenen Kantone ein Verfahren zur Gründung eines neuen, aus dem Berner Jura und dem Kanton Jura bestehenden Kantons einleitet?»
Theaterregisseurin Donzé zweifelt daran, dass der Inhalt dieser Abstimmungsvorlage ausreichend vermittelt worden ist. Es gehe keineswegs darum, dass die Berner gefragt würden, ob sie Jurassier werden wollten. Die Frage sei vielmehr: «Wie können zwei ganz kleine frankophone Gebiete sich zusammenschliessen, um gemeinsam die kritische Grösse zu erreichen, damit sie ein gewisses Gewicht bekommen?»
Und da sind wir wieder beim Thema «Peripherie», eine Problematik von einer Tragweite, die die alten pro-bernischen oder pro-jurassischen Ideologien klar in die Vergangenheit verweist.