Der päpstliche Appell gegen die Todesstrafe vor dem US-Kongress war kaum verhallt, da machten sich die Henker im Süden des Landes bereits an die nächsten Hinrichtungen: Im US-Bundesstaat Georgia wurde Kelly Gissendaner hingerichtet. Die dreifache Mutter wurde zum Tod verurteilt, weil sie 1997 ihren Liebhaber zum Mord an ihrem Ehemann angestiftet hatte. Der Liebhaber erhielt lebenslänglich, Kelly Gissendaner das Todesurteil.
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Tags darauf nahte im US-Teilstaat Oklahoma Richard Glossips letzte Stunde. Der Vater einer erwachsenen Tochter wurde für schuldig befunden, 1997 einen Mörder für seinen Arbeitgeber angeheuert zu haben. Der Mörder kam mit lebenslänglich davon, Richard Glossip erhielt die Todesstrafe – trotz alarmierender Indizien für seine Unschuld.
Ein untaugliches System
Abermals einen Tag später stand im Bundesstaat Virginia die Exekution des seriellen Vergewaltigers und Mörders Alfredo R. Prieto auf der Traktandenliste. Laut seinen Anwälten war der Verurteilte geistig behindert, weshalb er gar nicht hätte hingerichtet werden dürfen. Gemäss Verteidigung prüfte das Gericht aber weder die entsprechenden Krankenakten noch die Tauglichkeit des tödlichen Gifts.
Von diesen drei Todeskandidaten überlebte auf wundersame Weise der 52-jährige Richard Glossip – und nicht etwa, weil ihm Oklahomas Richter in letzter Minute doch noch eine faire Chance für die Neubeurteilung seines Falles geben wollten. Die Vollzugsbehörde hatte für seine Exekution schlicht und einfach eine falsche Chemikalie erhalten. Und so wurde Richard Glossips Todeszeitpunkt zum dritten Mal – und diesmal buchstäblich im letzten Moment – um ein paar Wochen verschoben.
«Wenn die sich nicht mal die richtige Giftmischung besorgen können, wer garantiert uns denn, dass sie die richtigen Leute umbringen?» spottete die katholische Ordensfrau Helen Prejean, die weltweit berühmteste Aktivistin gegen die Todesstrafe, wenige Minuten nach Bekanntwerden des Aufschubs via Twitter.
Todesstrafe in den USA bald Geschichte?
Antonin Scalia, konservatives Mitglied des Obersten Gerichtshofs des Landes sagte während einer Rede an einem US-College, er wäre «nicht überrascht», wenn sein Richtergremium die Todesstrafe schon «bald» abschaffen würde.
Ein prüfender Blick in die Akten Richard Glossips würde die Entscheidungsfindung der hohen Damen und Herren sicher beschleunigen: Sein Fall zeigt geradezu exemplarisch, wie grausam, manipulations- und fehleranfällig das System der Todesstrafe ist.
Vollzug nur noch in den Südstaaten
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Vielleicht ist die von ein paar US-Medien besorgt beobachtete Hinrichtungshektik dieser Tage ja auch nur ein letztes Aufbäumen gegen das Unvermeidliche: Ausgesprochen und vollstreckt wird das Todesurteil in den USA inzwischen ohnehin bloss noch in ein paar Bundesstaaten im Süden des Landes, den ehemaligen Sklavenstaaten. Allerdings werden nirgendwo auch nur annähernd so viele Menschen hingerichtet wie in Texas: 528 mal hat der «Lone Star State» das tödliche Urteil in den letzten 40 Jahren vollzogen.
19 von 50 Teilstaaten haben die Todesstrafe in den vergangenen Jahren abgeschafft, zuletzt Nebraska im Mai. Der amtierende Gouverneur legte zwar sein Veto ein, wurde aber vom Parlament überstimmt. Andere Teilstaaten führen die umstrittene Strafe nur noch auf dem Papier, wenden sie aber nicht mehr an.
Gesellschaftlicher Rückhalt bröckelt
Rückläufig ist auch der Support der amerikanischen Bevölkerung: Sprachen sich bis Mitte der 90er-Jahre noch über 80 Prozent für die Todesstrafe aus, ist ihr Anteil laut der jüngsten Erhebung des PEW-Instituts diesen Frühling auf 56 Prozent geschrumpft. Vor die Wahl gestellt, bevorzugt mittlerweile eine knappe Mehrheit von 54 Prozent lebenslange Haft ohne Aussicht auf Entlassung. Dies ergab eine Studie der «Washington Post» und des Fernsehsenders ABC im vergangenen Jahr.
Fatale Vergeltungsgerechtigkeit
Die Häufung von Medienberichten über unschuldig zum Tod Verurteilte – meist Schwarze, Arme oder arme Schwarze – sowie Einzelheiten über vier qualvolle Hinrichtungen in den letzten beiden Jahren, haben dieses Umdenken in der amerikanischen Gesellschaft begünstigt. Ebenfalls nicht wirkungslos blieben die zunehmenden Appelle von Hinterbliebenen von Mordopfern, die sich gegen die Todesstrafe aussprechen. Durch das Töten der Mörder würden ihre Liebsten nicht wieder lebendig, argumentieren sie. Die Logik dieser fatalen Vergeltungsgerechtigkeit schaffe nur neue Waisen, Witwen und Leid.
Die 76-jährige Helen Prejean, seit 30 Jahren unermüdliche Aktivistin gegen die Todesstrafe, ist überzeugt: sie wird das Ende dieser durch und durch maroden Strafform in ihrer Heimat noch erleben: «Ja, wir sind auf gutem Weg», sagt die amerikanische Nonne, die dieser Tage zusammen mit Schauspiel-Ikone Susan Sarandon um das Leben von Richard Glossip kämpft.
Wäre schön, ihr Schützling könnte diesen historischen Moment auch miterleben: Glossips Hinrichtungstermin ist jetzt auf den 6. November angesetzt.
Nachtrag: Wenige Tage nachdem Richard Glossips Hinrichtungstermin zum dritten Mal verschoben wurde, verhängte Oklahomas Gouverneurin Mary Fallin einen unbefristeten Hinichtungsstopp für alle geplanten Exekutionen im Bundesstaat.