Am 11. April wurde es offiziell: Der Papst kündigte das ausserordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit gemäss Protokoll an. Er verlas vor dem Petersdom feierlich Teile der sogenannten «Bulle», die das Heilige Jahr und seine Anliegen proklamiert. Eine Bulle ist eine Urkunde, mit der wichtige Rechtsakte des Papstes verkündet werden – wie etwa im Mittelalter die Aufrufe zu den Kreuzzügen oder Massnahmen zur Ketzerbekämpfung.
Alle Sünden auf einen Schlag vergeben
Das Heilige Jahr, auch Jubeljahr genannt, wird am 8. Dezember 2015 starten. Was es damit auf sich hat, weiss Charles Martig, Leiter des Katholischen Medienzentrums: «Ein Heiliges Jahr gab es in der katholischen Kirche erstmals 1300 unter Papst Bonifatius VIII. Die Idee damals war, dass den Pilgern, die nach Rom reisten und dort beteten, ein vollständiger Ablass gewährt wurde.
Alle Sünden auf einen Schlag vergeben – für die Menschen des Mittelalters eine sehr erstrebenswerte Sache.» Wer eine vollständige Lossprechung wollte, musste sich bis anhin auf einen Kreuzzug oder eine lange Pilgerreise begeben – etwa nach Santiago.
Barmherzigkeit und Reformgeist
Schon im alten Israel wurde alle 50 Jahre ein Vergebungsjahr gefeiert. In der Kirche sollte ursprünglich nur alle 100 Jahre ein Jubeljahr ausgerufen werden – heute ist man bei einem 25-Jahre-Rhythmus.
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Neben diesen ordentlichen, also vorgesehenen, Heiligen Jahren hat der Papst aber auch die Möglichkeit, ausserordentliche Heilige Jahre auszurufen, etwa zu speziellen Anlässen oder Anliegen. Dass Papst Franziskus – mal wieder, ist man versucht zu sagen – das Protokoll missachte, sei dabei aber nicht das Besondere, sagt Martig: «Besonders ist vielmehr, dass er unbedingt während seiner Zeit als Papst die Themen Barmherzigkeit und Reform vorantreiben will. Mit der Aufmerksamkeit, die dieses Heilige Jahr auf sich zieht, kann er nun seine Anliegen in den Fokus rücken.»
Der Beginns dieses Jubeljahres ist denn auch hochgradig symbolisch gewählt: Am 8. Dezember vor 50 Jahren ist das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende gegangen: jenes Konzil, das ganz im Zeichen der Erneuerung stand und viele Reformen beschlossen hatte. Diesen Geist will Franziskus jetzt wieder stärker ins Bewusstsein rufen. Der Papst wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass wichtige Anliegen dieser Bischofsversammlung noch nicht verwirklicht sind.
Als organisiere man Olympische Spiele
Das letzte ordentliche Heilige Jahr fand 2000 statt – dem Ruf von Johannes Paul II. sind 25 Millionen Menschen gefolgt. «Der jetzige Papst ist nicht minder beliebt, das heisst, es könnte gut wieder dieses Ausmass annehmen», meint Martig. Normalerweise werde darum auch geplant, als organisiere man Olympische Spiele: «Doch dazu fehlt jetzt die Zeit, innerhalb von ein paar Monaten schafft man es kaum, zusätzliche Infrastrukturen auf die Beine zu stellen.» Im Vatikan arbeite man nun auf Hochtouren, um die organisatorische und logistische Herausforderung stemmen zu können.
«Nicht mehr alle Energie der Welt»
Es sei noch völlig offen, was genau gemacht werden könne. Johannes Paul II. empfing jede Woche eine andere Gruppe von Gläubigen – mal katholische Landwirte, mal katholische Polizisten, mal katholische Parlamentarier. «Ich bezweifle, dass es so etwas wieder geben wird – nicht zuletzt, weil Papst Franziskus gegen 80 geht und nicht mehr alle Energie der Welt hat.»
Die Planung dieses Megaevents hält aber nicht nur den Vatikan auf Trab: Das Jubeljahr hat Auswirkungen auf den gesamten Grossraum Rom. So sind nach der Ankündigung des Heiligen Jahres etwa die Aktien des Autobahn-Caterers Autogrill auf ein Rekordhoch gestiegen. Jorge Bergoglio – ein Papst, der selbst den Aktienkurs bewegt.