Wenn Patrick Deville von einem Menschen erzählt, erzählt er immer von der ganzen Welt. So auch in seinem neuen Roman «Pest und Cholera», in dem der Franzose zusammen mit seinem Helden Alexandre Yersin, dem Entdecker des Pesterregers, das goldene Zeitalter der Mikrobiologie durchreist.
Ein Wettkampf um Pest und Cholera
Begonnen hatte es mit den beiden Gründungsvätern der neuen Wissenschaft, Robert Koch und Louis Pasteur. Mit ihren Entdeckungen der Erreger von Tuberkulose und Tollwut begann der Feldzug der jungen Wissenschaft gegen die grossen Epidemien. Pest und Cholera sind die bekanntesten Etappensiege dabei; wurde doch die Cholera von Robert Koch und seinen Mitarbeitern bezwungen, die Pest dagegen von Louis Pasteurs Adepten Alexandre Yersin.
Alexandre Yersin, 1863 in Aubonne geboren, wuchs zweisprachig in Morges am Genfersee auf. Er studierte in Lausanne, Marburg und Berlin, bevor er nach Paris zu Pasteur ging. Dieser hatte mit der Entdeckung des Tollwuterregers gerade den Grundstein seines wissenschaftlichen Ruhms gelegt. Jedoch leitete er noch kein eigenes Institut. Und so schickte Pasteur den jungen zweisprachigen Schweizer noch einmal nach Berlin, an das gerade gegründete Robert-Koch-Institut, wo er an einem Kurs Mikrobiologie teilnahm.
Er kehrte zurück nach Paris mit genauen Plänen des Labors von Robert Koch. Die detaillierten Zeichnungen kann man noch heute in den Archiven des Instituts Pasteur betrachten.
Der Schweizer und das Meer
Auf den heimgekehrten Agenten wartete eine steile Karriere am Institut Pasteur. Doch der junge Schweizer sah auf einer Reise in die Normandie das erste Mal in seinem Leben das Meer, liess Pasteur, Institut und Karriere hinter sich, schlug alle Türen zu und wurde Schiffsarzt in Indochina.
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Zu Hause in Europa hatte sich der Kampf der Mikrobiologie gegen die grossen Epidemien längst gewandelt in einen Kampf der beiden Institute, einen Kampf Deutschland gegen Frankreich, um den Vorrang auf dem Feld der jungen Wissenschaft. Es galt, wer die meisten und die schrecklichsten Krankheitserreger entdeckt und zuerst einen Impfstoff entwickelt.
Die Pest in Hongkong
So gesehen kam die Pestepidemie in Hongkong 1894 gerade recht. Robert Kochs langjähriger Mitarbeiter Shibasaburo Kitasato war bereits in der Kronkolonie auf Mikrobenjagd, als Alexandre Yersin am 15. Juni 1894 für die Seite Pasteurs ins Rennen ging.
Ein ungleicher Wettkampf begann. Alle Räume im Hospital von Kennedy Town waren bereits von Kitasato belegt, Yersin musste sich mit einem winzigen Labor in einer Ecke des Treppenhauses begnügen. Auch alle Leichen beanspruchte der Japaner. Yersin musste Totengräber bestechen und Leichenteile stehlen.
Der Sieg Yersins
Dennoch gelang es Yersin, in nur einer Woche den Pesterreger aus den Lymphdrüsenpaketen der Leichen zweifelsfrei zu isolieren, Kulturen von ihnen anzulegen und Meerschweinchen mit den gewonnenen Keimen zu infizieren. Bis heute nennt man die Pesterreger ihm zu Ehren Yersinia Pestis.
Wieder hätte Yersin nach Frankreich zurückkehren können, sich feiern lassen, seinen Ruhm, seinen Sieg auskosten. Und wieder lehnte er ab, schlug alle Türen zu.
Ein Held in Asien
Yersin wurde Entdecker und Pflanzer, baute fernab vom kriegerischen Europa ein Haus und starb dort 1943 – vergessen von der Heimat wie die meisten Helden grosser Schlachten. Doch in Hongkong und Vietnam verehrt man ihn noch immer, diesen Alexandre Yersin, nicht als Held an der Wissenschaftsfront, sondern schlicht als Besieger der Pest.