Elisabeth Kopp, Sie haben Ihre Kindheitsjahre in Muri bei Bern verbracht und waren fast drei Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Wie haben Sie den Krieg erlebt?
Elisabeth Kopp: Ich erinnere mich an unsere grosse Wiese, auf der wir Kartoffeln anpflanzten im Rahmen der damaligen Anbauschlacht. Auch denke ich an die heulenden Sirenen zurück, die mir Angst einflössten. Wir standen zitternd im Luftschutzkeller und warteten sehnsüchtig auf den Schlussalarm. Wir hofften, dass die fremden Flugzeuge die Schweiz bald wieder verlassen würden.
Sprechen wir über ihre Schilderungen zum Zweiten Weltkrieg im Buch «Jugendjahre in der Schweiz 1930 bis 1950». Die Lebensmittelrationierungen gehörten zum täglichen Leben mit dazu. Inwiefern hat sich ihre Lebensanschauung dadurch verändert?
Meine Generation hat gelernt, mit Esswaren bewusst umzugehen. Umso weniger kann ich nachvollziehen, wenn Lebensmittel leichtsinnig weggeworfen werden; zumal aus nahezu sämtlichen Resten ein Gericht zubereitet werden kann. Die Not schweisst Menschen zusammen, doch der Überfluss kann zu Gier und Gedankenlosigkeit führen.
Sie fragen sich rückblickend, ob die Menschen damals trotz Sorgen um eine ungewisse Zukunft nicht glücklicher waren als heute. Woran denken Sie konkret?
Die gelebte Solidarität war auch mit einer seelischen Bereicherung verbunden. Wer andere Menschen unterstützt, erlebt nicht selten Glücksgefühle. Während des Zweiten Weltkriegs hat man sich gegenseitig mit Lebensmitteln ausgeholfen. Eine Gesellschaft wird dadurch erheblich gestärkt.
Die Frauen nahmen zu jener Zeit eine untergeordnete Rolle ein. Während eines Vortrags Ihres Vaters Max Iklé, dem ehemaligen Direktor der eidgenössischen Finanzverwaltung, wurden Sie als einzige Frau im Publikum kritisch begutachtet.
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Das stimmt. Ich war ungefähr 14 Jahre alt und wollte meinen Vater begleiten. Der Mann, der die Veranstaltung organisiert hatte, eröffnete den Anlass mit «Sehr geehrte Damen und Herren». Da drehten sich die männlichen Zuhörer nach mir um und fragten sich, was ich wohl hier verloren hätte. Mein Vater zog sich elegant aus der Affäre, indem er die «Verehrten Anwesenden» im Saal ansprach.
Hat dieses Erlebnis dazu beigetragen, dass Sie sich später für das Frauenstimmrecht eingesetzt haben?
Mit Sicherheit. Ich war empört, dass die Frauen seinerzeit über kein Mitspracherecht verfügten. Wenn anderen oder mir selbst ein Unrecht geschieht, setze ich mich zur Wehr. Ich erinnere mich, dass ich einst gefragt wurde, ob ich bereits in jungen Jahren mit dem Gedanken gespielt hätte, Bundesrätin zu werden. Nach Beendigung meines Jurastudiums dauerte es jedoch noch 11 Jahre bis zur Einführung des Frauenstimmrechts 1971. Demnach wäre ein solcher Gedanke unmöglich gewesen.
Was hat sich in den letzten Jahren Ihrer Ansicht nach am meisten verändert?
Dazu gehört sicher die positive Entwicklung der Frauen. Es ist erfreulich, dass Frauen vermehrt Selbstvertrauen entwickeln und ihren eigenen Weg verfolgen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 3.11.14, 16:45 Uhr.