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Wohnkomplex mit vorgelagerten Balkonen.
Legende: Ersatzwohnbauten in der Wohnkolonie Burriweg in Zürich Schwarmendingen. Wikimedia

Gesellschaft & Religion Dichtere und grünere Siedlungen – ein Widerspruch in sich?

Die Nachfrage nach Wohnraum wächst. Verdichtung ist das Gebot der Stunde. Das Potential ist gross, doch was geschieht mit den Grünräumen? Das ist eine neue Herausforderung für die Denkmalpflege.

«Luft, Licht und Sonne» – das war die Losung der Moderne, die in Basel, Zürich, Winterthur und Genf im grossen Stil umgesetzt wurde. Zum Beispiel im Zürich Schwamendingen. In den späten 1940er-Jahren hat der damalige Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner dort einen grünen Korridor quer durch das Quartier gelegt.

In der grosszügig und sorgfältig modellierten Landschaft platzierte er Schulhäuser, Sportplätze und Schwimmbäder. Auch viele Wohnsiedlungen mit Zeilen aus Reihenhäusern und niedrigen Wohnblocks.

Architektonisch sei das vielleicht Massenware, gibt Architekt Stefan Kurath zu, herausragen sei aber das Gesamte: das Ensemble aus fliessenden Grünräumen, schönem Baubestand und den einfachen Häusern.

Der Grünraum ist bedroht

Heute haben diese schnell erstellten Häuser einen grossen Sanierungsbedarf. Zudem sind die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft und der Wunsch nach mehr Wohnraum zu erfüllen. Das gefährdet den Grünraum akut. «In diesen Grünräumen gibt’s viel Platz. Wenn man ganz unbedarft herangeht, würde man beginnen, alles zuzubauen und nach zu verdichten», warnt Kurath. Die Denkmalpflege ist also gefordert.

Das hat die Stiftung zur Förderung der Denkmalpflege erkannt. Sie hat Stefan Kurath, Professor an der ZHAW in Winterthur, beauftragt, Strategien zur Verdichtung von Siedlungen der Nachkriegszeit zu entwickeln. Zwar ist die Studie noch nicht abgeschlossen, aber für Kurath ist jetzt schon klar: In solchen Wohnsiedlungen ist der Erhalt der Struktur wesentlich.

Hervorragendes Beispiel mit Wermutstropfen

Ein untersuchtes Beispiel ist die Wohnsiedlung Burriweg in Zürich Schwamendingen. In einem Wettbewerb schlug der Nachwuchsarchitekt Frank Zierau vor, die acht Einfamilienhaus-Zeilen abzubrechen und zu ersetzen durch höhere Häuser, die sich der Bebauungsstruktur der Vorgängerbauten anpassen. Das gefiel der Jury.

«Architektonisch ist das ein hervorragendes Beispiel, wie man Siedlungen heute verdichten kann», sagt Kurath. Statt Reiheneinfamilienhäuser hat der Architekt Maisonette-Wohnungen aufeinandergestapelt und versucht, die Idee der Gartenstadt beizubehalten. Bei allem Lob weist er darauf hin, dass diese neuen Häuser höher und breiter sind und wuchtiger wirken.

Mehr Wohnraum mit gleich vielen Bewohnern

Daniel Schneller, Leiter der Denkmalpflege Basel-Stadt, schüttelt den Kopf. Wer die Einfachheit der Bauten aufgebe und grössere Volumen hinstelle, zerstöre auch die Wirkung der Landschaft, gibt er zu bedenken. Schneller hat ein Gegenbeispiel parat: Die Genossenschaftssiedlung «Zum Blauen» in Basel.

Auch sie muss dringend saniert werden. Die Genossenschaft hat verschiedene Szenarien geprüft und kommt zum Schluss, dass Neubauten die Anforderungen an die 2000-Wattgesellschaft zwar problemlos erfüllt hätten. Allerdings wäre mit dem Abbruch viel Graue Energie angefallen und die höheren Mietpreise hätte die Sozialstruktur vollständig verändert. Die Genossenschaft hat sich darum für die nachhaltige Variante entschieden und will die Siedlung «Zum Blauen» energietechnisch sanieren und mit kleinen Neubauten ergänzen. Die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft sind damit auch problemlos erreicht.

«Wenn Genossenschaftssiedlungen ersetzt werden, kann man beobachten, dass gleich viele Personen in diesen grösseren Siedlungen wohnen. Damit steigen Wohnraum- und Energieverbrauch», rechnet Schneller vor und folgert, dass Denkmalschutz durchaus etwas mit Energie-Effizienz zu tun habe.

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