Dicke Goldketten, bettelnde Kinder, ärmliche Hütten, Kinderbräute: Auf solche und ähnliche Klischees greifen die Deutschschweizer Medien bei ihrer Berichterstattung über Roma gerne zurück. «Dass das auf alle untersuchten Zeitungen zutrifft, hat mich überrascht», sagt Stéphane Laederich, der Direktor der Schweizer Roma Foundation.
Die Stiftung hat im Zeitraum von 2008 bis 2013 alle Artikel untersucht, in denen über Roma berichtet wurde. 297 Artikel sind zusammengekommen, verfasst von 147 Journalisten für den «Beobachter», den «Blick», «20 Minuten», den «Tages-Anzeiger», die «NZZ »und die «NZZ am Sonntag», die «Weltwoche», die «Sonntagszeitung» sowie die «Wochenzeitung».
Stereotypen aus dem Mittelalter
«Die Presse beschreibt durchs Band weg eine Minderheit innerhalb einer Minderheit», so Stéphane Laederich. Die grosse Mehrheit der rund 80‘000 in der Schweiz lebenden Roma stehe den wenigen, dafür sichtbaren Roma gegenüber. «Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass das Bild der bettelnden Clans nicht der Realität entspricht.»
Die Stereotypen, die immer wieder zu finden seien, stammten zum Teil aus dem westeuropäischen Mittelalter. Das Bild der kinderraubenden, heidnischen, stehlenden Roma habe in der Vergangenheit mehrmals die Verfolgung und Ermordung legitimiert. Stéphane Laederich spricht auch im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung in der Schweiz von «geistiger Brandstiftung, die nur allzu leicht in echte Brandstiftung umschlagen kann». Eine tickende Zeitbombe also im derzeitigen europäischen Klima, wo Rechtsnationalisten bei Abstimmungen grosse Erfolge feiern.
«Es reicht doch, dass ich der Jugo bin»
Beiträge zum Thema
Laut Studie werden Vorurteile und Stereotypen unhinterfragt weiterverbreitet, teilweise sogar über die Landesgrenzen hinaus. So verwendet etwa die ungarische Presse Artikel aus der Schweiz als willkommene Beweise im Sinne von: «Seht nur her, Roma sind wirklich stehlende Zigeuner! Das schreiben sogar die Schweizer.»
Diese negativen Zuschreibungen im In- und Ausland führen dazu, dass sich kaum jemand in der Schweiz als Rom oder Romni outen mag. «Denn dann ist man gleich mit Fragen wie ‹kannst du denn lesen und schreiben› oder ‹kannst du tanzen› konfrontiert», erzählt der Direktor der Stiftung, ein habilitierter Mathematiker und Physiker. Ein befreundeter Architekt aus dem Balkan sage jeweils: «Warum sollte ich den Leuten sagen, dass ich Rom bin? Es reicht ja, dass ich der Jugo bin.»
Bei der Präsentation der Studie der 1992 gegründeten Stiftung waren einige junge Roma dabei, die den Journalisten ihre Lebenswirklichkeit zeigen wollten: Dass sie genauso einer Arbeit nachgehen und in einer Wohnung wohnen wie die Journalisten auch und dass sie zu Hause nicht zehn Kinder haben. Von den insgesamt 147 Autorinnen und Autoren der untersuchten Artikel waren allerdings nur vier bei der Präsentation anwesend.
Tipps für die gute Berichterstattung
Nichtsdestotrotz ist das Ziel der Stiftung aufzuzeigen, dass die Realität nicht jene aus den Polizeimeldungen ist, sondern dass die meisten Roma integriert und erfolgreich sind. So empfiehlt die Roma Foundation für die zukünftige Berichterstattung: Wenn nur über ein Einzelereignis wie ein Verbrechen berichtet wird, solle sich der jeweilige Journalist überlegen, ob die Nennung der ethnischen Zugehörigkeit sinnvoll und ethisch vertretbar sei. Stéphane Laederich fragte die anwesenden Journalisten: «Wenn Sie in einem Artikel über Roma das Wort Rom durch Jude ersetzen würden – würden sie den Artikel immer noch so publizieren?»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 19.11.2014, 16 Uhr