Zum Inhalt springen
Zwei Männer spazieren an einer Moschee vorbei.
Legende: Religiöse Toleranz in den Emiraten: Richtet sich das neue Gesetz vor allem gegen Islamophobie? Keystone

Gesellschaft & Religion Die Emirate schreiben religiöse Toleranz im Gesetz fest

Eine Meldung aus den Vereinigten Arabischen Emirate lässt aufhorchen: Ein Gesetz verbietet religiöse Diskriminierung und Beleidigung. Mit deutlichen Strafen: 130'000 bis 2,5 Millionen Franken – oder bis 10 Jahre Gefängnis. Für Nahost-Kenner Fredy Gsteiger ein Zeichen gegen fanatischen Islamismus.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ein Anti-Diskriminierungsgesetz erlassen. Bedeutet das eine Öffnung zu mehr religiöser Toleranz? Oder das Gegenteil: Niemand darf den Islam beleidigen?

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent von SRF und Nahost-Kenner. Er ist stellvertrender Chefredaktor von Radio SRF.

Fredy Gsteiger: Es ist auf jeden Fall bemerkenswert, dass dieser Schritt unternommen wurde. Es ist auch ein Eingeständnis, dass nicht alles zum Besten steht dort – obschon die Vereinigten Arabischen Emirate liberaler sind als die meisten arabischen Länder. Aussenpolitisch ist es schon lange das Credo der Golfstaaten und der islamischen Weltorganisation – auch auf internationaler Ebene, auch in der UNO – die Blasphemie und das Beleidigen von Religionen zu bekämpfen.

Und wie tun sie das konkret?

Bislang ist natürlich fast ausschliesslich die Beleidigung des Islams gemeint, der Kampf gegen Islamophobie. Jetzt unternimmt man konsequenterweise einen entsprechenden innenpolitischen Schritt, indem Angriffe und Herabwürdigungen aller Religionen strafbar sind – wobei man klar sagen muss: Im Visier ist natürlich vor allem der fanatische Islamismus. Gruppen, die dem sogenannten Islamischen Staat nahe stehen, will man den Mund verbieten.

In den Emiraten leben und arbeiten vor allem auch x-tausende philippinische Gastarbeiter. Sie sind in der Regel katholisch – gilt dieser religiöse Schutz also auch ihnen gegenüber?

Ein bunter Weihnachtsbaum steht auf einem öffentlichen Platz in Dubai. Eine Frau mit einem Kind laufen daran vorbei.
Legende: Ein Weihnachtsbaum in Dubai: In den Emiraten leben auch viele Christen. Keystone

So wie das Gesetz formuliert ist, sind wirklich alle gemeint und alle mitgeschützt. In den arabischen Emiraten leben in der Tat nur etwa 10 Prozent Einheimische, 90 Prozent der Bevölkerung sind Gastarbeiter. Das sind beispielsweise Christen aus den Philippinen, aber auch aus Europa und Afrika. Es sind viele Hindus aus Indien darunter, auch Buddhisten. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung sind Nicht-Muslime.

Und wie leben die Nicht-Muslime in den Emiraten?

Sie lebten bislang vergleichsweise frei. Kirchen sind erlaubt – anders als in Saudi-Arabien. Es gibt auch hinduistische Tempel, es dürfen christliche Feste wie Weihnachten oder Ostern gefeiert werden. Und es gibt sogar vereinzelt christliche Schulen. Angriffe auf andere Religionen waren bisher eher selten. Am ehesten noch antisemitische Äusserungen in Zeitungen, antisemitische Karikaturen beispielsweise.

Denken Sie, dass die religiöse Öffnung – dieser Schutz – vor allem aus wirtschaftlichem Kalkül heraus passiert? Weil man auf die Gastarbeiter angewiesen ist?

Vereinigte Arabische Emirate

Box aufklappen Box zuklappen

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind ein Zusammenschluss von sieben Stämmen – Emiraten eben – auf der Arabischen Halbinsel. Die Föderation gilt als eines der reichsten «Länder» der Welt. Landesreligion ist Islam, Landessprache Arabisch. Die beiden bekanntesten Emirate sind Abu Dhabi und Dubai.

Ich denke nicht. Es ist zwar in der Tat so: Überall in der Arbeitswelt geben die Gastarbeiter den Ton an, aber der Beweggrund für dieses neue Gesetz ist politisch. Man hat in den Vereinigten Arabischen Emirate zunehmend Angst vor IS-nahen Gruppen, dass diese stärker werden und Einfluss nehmen – und dem will man frühzeitig entgegenwirken.

Wie wird in den arabischen Medien über das neue Gesetz berichtet?

In den einheimischen Medien wird sehr breit darüber berichtet. Interessanterweise auch in saudischen Zeitungen – obschon dort die religiöse Toleranz überhaupt nicht auf der politischen Agenda steht. Man merkt, dass wahrscheinlich vielerorts in den Golfstaaten das Gesetz durchaus als vernünftig angesehen wird, weil man eben auch dort beunruhigt ist über die Ausbreitung des radikalen Islams.

Das ist natürlich ein Stück weit bizarr, denn viele dieser Golfstaaten-Regierungen haben selber – die saudische Regierung voran – radikale islamische Gruppen erst stark und gross gemacht. Es ist durchaus nicht auszuschliessen, dass immer noch reiche Emirati zu den finanziellen Unterstützern des Islamischen Staates gehören.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 23.07.2015, 16:20 Uhr

Meistgelesene Artikel