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Gesellschaft & Religion Die Grenze zwischen kriegerischer und friedlicher Atomenergie

Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer spricht sich 1957 für die atomare Bewaffnung der Bundeswehr aus, angefeuert von Verteidigungsminister Franz Josef Strauss. Die Atom-Fachleute proben den Aufstand und formulieren die «Erklärung der Göttinger Achtzehn». Sie lösen die erhoffte Wirkung aus.

Es ist Kalter Krieg und der deutsche Bundeskanzler macht auf schön Wetter. Vor versammelter Reporterschar erklärt Konrad Adenauer am 5. April 1957, wie er die Sache mit den Atomwaffen sieht: Taktische Atomwaffen seien doch eigentlich nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie. Klar doch, dass die noch junge Bundesrepublik in Zeiten internationalen Wettrüstens mithalten und sich diesen neuen Waffentyp beschaffen müsse.

Adenauers Vergleich schlägt eine wie eine Bombe

Otto Hahn, Walter Gerlach und Carl Friedrich, alle in Anzug und Krawatte, eilig an der Kamera vorbeigehend.
Legende: Otto Hahn, Walter Gerlach und Carl Friedrich von Weizsäcker (v.l.n.r.) vor einer Versammlung, 1957. Keystone

Ein gelinde gesagt kühner Vergleich, den Adenauer hier anstellt. Er tut es in der Absicht die heftigen Wogen zu glätten, die er ein paar Tage zuvor selber ausgelöst hat. Er hat sich verplappert und über die Nato-Pläne gesprochen, wonach die deutsche Bundeswehr mit atomaren Sprengköpfen auszurüsten sei. Ein Projekt, das höchster Geheimhaltungsstufe unterliegt.

Die Gleichsetzung dieser so genannten taktischen Atomwaffen, die – im Gegensatz zu strategischen Waffen – nicht nur der Abschreckung, sondern auch dem konkreten Einsatz dienen sollen, schlägt tatsächlich ein wie eine Bombe. Vor allem bei jenen, die sich in der Materie auskennen: bei den deutschen Atomforschern.

Politik statt Labor und Schreibtisch

HörPunkt am 2. März

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Wissenschaft überschreitet Grenzen. Das muss sie. Doch Wissenschaft ist nicht a priori gut. Sie kann auch Schaden anrichten. Die Wissenschaftsredaktion von SRF 2 Kultur berichtet von kriminellen, nachlässigen und naiven Forschern. Fragt, warum Wissenschaftler zu Tätern und ihre Forschungsgebiete zur Gefahr werden.

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Tatort «Wissenschaft»

Konrad Adenauers verharmlosender Vergleich bietet ihnen die Plattform, um ihr schon länger schwelendes Unbehagen öffentlich zu machen. Die Drähte zwischen ihnen laufen heiss. Vor allem im Max-Planck-Institut Göttingen, dessen Präsident niemand geringerer als Otto Hahn ist. Er ist ein Pionier der Atomforschung, hat über Jahrzehnte mit der Physikerin Liste Meitner gearbeitet, zusammen mit seinem Assistenten Fritz Strassmann im Jahr 1938 die Atomspaltung entdeckt und damit recht eigentlich die Tür zum Atomzeitalter aufgestossen. Am 12. April 1957, es ist Freitag, übergibt Otto Hahn der Presse einen schriftlichen Appell: Die Göttinger Erklärung.

Eine Gruppe von 18 namhaften Naturwissenschaftlern hat die Erklärung unterzeichnet. Zu ihnen gehören die Nobelpreisträger Werner Heisenberg, Max Born, Max von Laue, Wolfgang Pauli und eben auch Otto Hahn. Es ist ihr Gewissen, das sie antreibt, ihre Labore und Schreibtische zu verlassen und sich in die Politik einzumischen.

Nicht die ersten Mahner

Sie beschreiben den fliessenden Übergang von taktischen zu strategischen Atomwaffen und warnen eindringlich davor, die Gefahr taktischer Atomwaffen zu unterschätzen: «Die Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erfüllen die unterzeichnenden Atomforscher mit tiefer Sorge … Die Unterzeichnenden fühlen sich daher verpflichtet, öffentlich auf einige Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleute wissen, die aber der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt zu sein scheinen: 1. Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben … 2. Für die Entwicklungsmöglichkeit der lebensausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine natürliche Grenze gesetzt…»

Konrad Adenauer, an einem Schreibstisch sitzend, mit Stift in der Hand, in die Kamera schauend.
Legende: Konrad Adenauer im Jahr 1949, nachdem er zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Keystone

Die «Göttinger Achtzehn» setzen sich mit deutlichen Worten gegen die Verbreitung von Atomwaffen ein. Waffen, deren Entwicklung auf den Grundlagen ihrer Forschung beruht. Otto Hahn und die anderen Unterzeichner der «Göttinger Erklärung» sind sich dessen nur allzu bewusst und wollen Verantwortung übernehmen. Die deutschen Atomforscher sind nicht die ersten Mahner. Sie vollziehen in gewisser Weise nach, was ihnen amerikanische Kollegen schon seit 1945 vormachen. Bedeutende Wissenschaftler der USA warnen regelmässig vor der Verwendung von Nuklearmaterial für Waffen und lehnen es ab, für die Atomenergiekommission zu arbeiten.

Eine selbstverpflichtende Passage

Konrad Adenauer reagiert zunächst gekränkt, sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauss tobt. Die Presse titelt dafür und dagegen. Die Bevölkerung ist aufgeschreckt. Die «Göttinger Erklärung» zeigt die von den Wissenschaftlern erhoffte Wirkung. Sie setzt eine Diskussion in Gang, die eine öffentliche sein muss, da sie alle betrifft.

Die treibende Kraft hinter dem Manifest der Göttinger Achtzehn ist Carl Friedrich von Weizsäcker, Atomphysiker, Philosoph und späterer Friedensaktivist. Er formuliert den Appell und sucht Hilfe beim Philosophen und Theologen Martin Buber. Dieser rät ihm, eine selbstverpflichtende Passage einzufügen. Dies sei entscheidend für die eigene Glaubwürdigkeit. Bubers Mahnung schlägt sich im letzten Abschnitt der Erklärung nieder: «Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Gleichzeitig betonen wir, dass es äusserst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken.»

Mit diesen beiden abschliessenden Sätzen definieren die 18 unterzeichnenden Forscher der «Göttinger Erklärung» jene Grenze, die sie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht zu übertreten gewillt sind. Es ist die Grenze zwischen kriegerischer und friedlicher Nutzung der Atomenergie.

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