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Blumen liegen vor einem Gittertor, Menschen kauern daneben, im Hintergrund bewaffnete Polizisten.
Legende: Blumen vor der Synagoge in Kopenhagen, wo am Wochenende ein jüdischer Wachmann erschossen wurde. Keystone

Gesellschaft & Religion «Die Leute in Dänemark sollen sagen dürfen, was sie wollen»

Seit den Anschlägen auf ein Kulturhaus und eine Synagoge in Kopenhagen ist das Land im Ausnahmezustand. Trotz Schock und Trauer reagiert man gefasst. Diskussionen über Meinungsfreiheit und Verantwortung von Künstlern sei man in Dänemark gewohnt, meint Kulturkorrespondent Clemens Bomsdorf.

Clemens Bomsdorf, wie reagieren Kulturschaffende in Dänemark auf die Attentate von Kopenhagen?

Da möchte ich als erstes Karsten Ohrt nennen, den Direktor der dänischen Nationalgalerie. Er spricht von einem hilflosen Anschlag auf die Meinungsfreiheit und den Diskurs. Er macht darauf aufmerksam, dass Kunst nicht immer angenehm, schön oder liebenswert sein könne, sondern dass eben Zweifel, Offenheit und Dialog wichtig seien. Durch seine Stellung als Chef des grössten nationalen Museums hat das natürlich für Diskussionen und Aufsehen gesorgt.

Nach den Attentaten von Paris auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» gab es zahlreiche Solidaritätsaktionen – auch von Kulturschaffenden. Gibt es sowas auch in Kopenhagen?

Kulturschaffende beteiligen sich und nehmen an der Gedenkzeit teil. Direktoren von Museen oder Künstler fangen an, über den Künstler Lars Vilsk und dessen Kunst zu diskutieren. Um einfach mal zu sagen: Als Künstler schätzen wir ihn nicht wirklich, aber wir sind für die Meinungsfreiheit.

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In der Nacht auf Sonntag hat in Kopenhagen ein Attentäter einen Anschlag auf ein Kulturhaus und eine Synagoge verübt. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben: ein dänischer Filmemacher sowie ein jüdischer Wachmann vor der Synagoge. Mehr zum Thema gibt's hier:

Der Künstler Lars Vilsk war das mutmassliche Ziel des Anschlags. Und er überlebte das Attentat. Welchen Ruf hat er in Nordeuropa?

Er ist vor allem durch seine Karikatur bekannt geworden, in der er Mohammed als Hund darstellte. In seiner Heimat Schweden kannte man ihn schon zuvor als Provokateur. Er baute etwa in der schwedischen Landschaft am Meer eine Skulptur aus Treibgut, die immer grösser und grösser wurde. Die aber eigentlich da, wo sie steht, nicht stehen darf, weil sie keine Baugenehmigung hat. Das ist typisch für Vilsk.

Doch er ist nicht der Künstler, der in grossen Museen ausgestellt wird. Das hat aber nichts mit Zensur zu tun, sondern einfach damit, dass er in der Kunstszene nicht als der grosse, respektierte Künstler angekommen ist.

Nach den Anschlägen von Paris wurde viel über die Verantwortung der Künstler und Zeichner für ihre Werke diskutiert. Auch in Dänemark?

Das ist hier in den letzten Jahren immer wieder diskutiert worden. Gerade in Dänemark ist man der Ansicht, dass man die Meinung des anderen respektiert muss. Man ist hier im Umgangston ein bisschen rauer und weiss: Wenn jemand etwas sagt, das mir nicht passt, muss ich das vielleicht hinnehmen. Auch wenn es mich kritisieren oder mal verletzten mag.

Ein Beispiel, das viele noch im Kopf haben und hier auch gut reinpasst: Letztes Jahr wurde im Kopenhagener Zoo eine tote Giraffe vor Kindern zerlegt. Es ging nicht darum, den Kindern etwas Grausames zu zeigen, es war einfach das wirkliche Leben. Wer das nicht mag, muss es sich nicht anschauen. So läuft die generelle Debatte in Dänemark, die Leute sollen sagen dürfen, was sie wollen.

Zur Person

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Clemens Bomsdorf lebt seit rund zehn Jahren in Kopenhagen und arbeitet von dort als Kulturkorrespondent für verschiedene Medien. Neben SRF etwa für «art», «Financial Times Deutschland», «Die Welt» und «The Art Newspaper».

Wie haben sich Vertreter der Religionsgemeinschaften in Dänemark zu den Anschlägen geäussert?

Die jüdische Gemeinde war natürlich völlig schockiert. Sie hat aber bis jetzt keine Vorwürfe gegen die Polizei erhoben, sondern sagte, diese hätte relativ gut gehandelt. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, sagte auch, dass er nicht möchte, dass Juden jetzt nach Israel auswandern, wie vom israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu gefordert. Schliesslich hätten sie ja die dänische Staatsbürgerschaft.

Ebenfalls interessant war die Reaktion der Imams, der vor zehn Jahren mit den bekannten Mohammed-Karrikaturen in der Zeitung «Jyllands-Posten» in den Nahen Osten gereist war und Propaganda gegen Dänemark gemacht hatte. Er hatte sich schon vor einer Weile distanziert von diesem Verhalten, jetzt sagte er wieder: Es sei wirklich traurig, was geschehen ist, und es wäre schlimm, wenn er mit seinem damaligen Verhalten, irgendwie dazu beigetragen hätte, dass das Ganze jetzt eskaliert sei.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17.02.2015, 6:45 Uhr.

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