Lars Geiges, als Politologe am Göttinger Institut für Demokratieforschung haben Sie das soziale und politische Milieu der Pegida untersucht. Wie lässt sich diese Szene beschreiben?
Lars Geiges: Das sind vor allem Männer mittleren Alters. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Deutschlands sind sie gut ausgebildet und arbeiten Vollzeit. Sie kommen also nicht aus prekären Verhältnissen. Die Pegida-Anhänger pochen auf Recht und Ordnung und verfolgen nationale Interessen. Sie lehnen «Multikulti» ebenso ab wie den Islam, den sie als gewalttätige Religion betrachten. Sie distanzieren sich von allen etablierten Parteien – mit einer Ausnahme: Zur Partei «Alternative für Deutschland» gibt es eine gewisse Nähe. Die Pegidisten stellen Politiker als Gaukler oder als Verräter dar, sie verhöhnen das politische Establishment und die öffentlich-rechtlichen Medien. Letztere bezeichnen sie als «Lügenpresse».
Inwiefern gibt es innerhalb der Pegida Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland?
Link zum Thema
Drei Viertel der Aktivisten stammen aus Dresden, also aus dem Osten. Die Versuche der Pegida, sich in Westdeutschland, etwa in Köln, Duisburg, Braunschweig oder Hannover zu etablieren, sind gescheitert. Dort hat die Bewegung – im Gegensatz zu Ostdeutschland – den Zugriff auf Bürgerinnen und Bürger der politischen Mitte nicht geschafft. Es gibt einen breiten Widerstand, etwa von Seiten der Kirchen und der Gewerkschaften. Ausserdem ist in Westdeutschland die rechtsradikale Szene zersplittert. Diese untereinander verfeindeten Gruppierungen haben es nur kurzfristig geschafft, sich unter das Banner der Pegida zu stellen.
Wie ordnen Sie die Pegida ein, wenn Sie sie mit rechtsextremen Parteien in Europa vergleichen, etwa mit dem französischen Front National oder der ungarischen Partei Jobbik?
Die Pegida argumentiert ebenfalls zugespitzt und rechtspopulistisch. Das wird dann gefährlich, wenn die Anhänger solcher Gruppierungen ins Parlament einziehen. Dieser Schritt von der ausserparlamentarischen Opposition ins Parlament ist der entscheidende Punkt. Denn dann bekommen diese Parteien Geld und Personal. Auch im Parlament können sie «im Namen des Volkes» eine Anti-Politik betreiben, die Exponenten von Politik und Wirtschaft verhöhnen und gegen diese Stimmung machen. Eine weitere Gefahr ist, dass Populismus selten allein kommt: Häufig docken extreme Positionen daran an.
Sie halten in Ihrer Studie fest, dass die Pegida in Bezug auf ihre politische Wirksamkeit überschätzt werde. Woraus schliessen Sie das?
Pegida ist ein lokales Phänomen, das sich auf Sachsen beschränkt. Dort gingen maximal 25'000 Menschen auf die Strasse. Andere Demonstrationen in Deutschland fanden viel mehr Zulauf. Zum Vergleich: Bei der Stopp-TTIP-Demonstration im letzten Oktober in Berlin waren mindestens 250'000 Menschen auf der Strasse. Die Frage ist im Moment: Kann die Partei «Alternative für Deutschland» das Wählerpotential der Pegida aufsaugen? Das wird sich im März zeigen, bei den Landtagswahlen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Möglich, dass diese Partei dort in die Landtage einzieht. Damit wäre der Boden für eine rechtspopulistische Kraft bereitet, dass sie sich auch im Bundestag etablieren könnte.
Welche Rolle spielt die Pegida in anderen europäischen Ländern?
Keine grosse. Es gibt Versuche von Kleinstgruppierungen am rechten Rand, etwas unter dem Banner von Pegida stattfinden zu lassen. Diese finden aber nur eine beschränkte Resonanz. Die Pegida wird überschätzt. Es ist fragwürdig, ob eine solche Gruppierung und deren Exponenten wie Lutz Bachmann eine so grosse Berichterstattung verdienen. Stattdessen müsste man sich fragen: Was bewegt Bürger, die früher einmal christlich-konservativ, freisinnig oder sozialdemokratisch gewählt haben, sich solchen Gruppierungen anzuschliessen? Warum gelingt es gerade den Populisten zu punkten, wenn es um Migration, Terrorismus oder Klimawandel geht? Das sind globale Probleme, auf die die europäischen Länder ihren Bürgern Antworten liefern müssen.