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Eine Frau auf einem Fahrrad, dahinter eine Brücke mit auffälligen Pfeilern.
Legende: Exakt fünf Jahre später, aber ein komplett anderes Bild: der Tahrirplatz, 25. Januar 2016. Keystone

Gesellschaft & Religion Die Revolution auf dem Tahrirplatz ist längst Geschichte

Fünf Jahre nach dem arabischen Frühling erinnert in Kairo nur noch wenig an die historischen Umbrüche von 2011. Stück für Stück erobert sich das Regime um Präsident Abdel Fattah Al Sisi den öffentlichen Raum zurück. Und auch der öffentliche Diskurs wird ausgeschaltet.

Der Tahrirplatz im Herzen von Kairo: Ampeln regeln den sonst chaotischen Verkehr, die Häuser rund um den Platz sind frisch gestrichen, alle im selben Gelbton. Eine riesige betonierte Fläche mit ein paar Bäumen erstreckt sich vor dem Ägyptischen Museum, darunter eine überdimensionale Tiefgarage.

Der Tahrirplatz als Symbol für Ägypten

Vergleicht man den Tahrir mit den Bildern aus der Zeit des arabischen Frühlings, ist er nicht wiederzuerkennen. Nicht nur, dass die Menschenmassen fehlen. Es herrscht Ordnung auf dem symbolträchtigsten Platz Ägyptens. Eine von den Machthabern verhängte Ordnung. Die Botschaft ist klar: Der Tahrir ist wieder in den Händen des Staates – getreu der Logik: Wer den Tahrir beherrscht, der beherrscht das Land.

Das kleine Verlagshaus Merit hat seine Büroräume nur einen Steinwurf vom Tahrir entfernt. Es war während der Revolution eine Art Hotel, Lazarett und Suppenküche für die jungen Revolutionäre. Inhaber Mohammed Hashem treibt es Tränen in die Augen, wenn er sich heute daran erinnert: «Die ganze Revolution war ein Traum. Dass die Menschen in Würde leben, in einem Staat und nicht auf einer Müllhalde – das alles war ein Traum.»

Polizei drangsaliert Kritiker

Heute gilt Merit als eine der letzten Bastionen für freie Meinungsäusserung. Sehr zum Ärger der Machthaber. Hashem wartet jeden Tag darauf, dass er verhaftet und eingesperrt wird. Gegen ihn läuft ein Verfahren. Ende vergangenen Jahres hat die Polizei die Büroräume gestürmt und den Verlag vorübergehend geschlossen. Der Vorwurf: Hashem habe keine Lizenz, um seine Bücher zu veröffentlichen.

Ausserdem habe er keine Steuern gezahlt. Umgerechnet über 200'000 Franken schulde er dem Staat. «Das ist absurd. Soviel Umsatz habe ich nicht mal gemacht in den vergangenen Jahren», winkt Hashem ab. Noch ist er trotzig und arbeitet weiter. Eine Strategie, die im Moment viele Kulturzentren oder Nichtregierungs-Organisationen fahren, die von der Aufräumwut des Staates betroffen sind.

NGOs arbeiten aus Trotz weiter

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Das El-Nadeem-Center zum Beispiel. Es liegt in einem unscheinbaren Hinterhaus in Kairo Downtown. Am Eingang ist seit einigen Wochen ein Wachposten platziert, der die Mitarbeiter warnen soll, wenn wieder die Polizei anrückt.

Denn für die «Kunden» wäre es traumatisch, wenn sie bei einer Razzia dabei wären. Das El-Nadeem-Center berät Menschen, die Opfer von Folter geworden sind. Viele von ihnen wurden auf Polizeistationen oder in Gefängnissen gequält.

Mitte Februar stattete die Polizei dem Zentrum einen Besuch ab mit dem Beschluss, es zu schliessen. Die Begründung auch hier: Die Betreiber besässen keine Lizenz. Die haben sich davon nicht einschüchtern lassen und haben nach einigen Tagen Pause ihre Arbeit fortgesetzt.

Von 2011 ist nicht viel übrig

Rafeeq Mohammed ist Researcher im El-Nadeem. Er hat vor kurzem eine Ausstellung über Folter in ägyptischen Polizeistationen und Gefängnissen gestaltet, hat dazu Opfer interviewt: «Die meisten sind einfache Bürger, also keine Aktivisten oder Oppositionelle. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und sind so in die Mühlen des Staates geraten.» Die Ausstellung ist mittlerweile geschlossen. Begründung: Mohammed habe sich nicht an Urheberrechts-Gesetze gehalten.

Merit und El Nadeem sind nur zwei von hunderten Beispielen für die Stimmung, die Ägypten im Moment beherrscht. Von den Zielen aus dem Jahr 2011 – Freiheit und soziale Gerechtigkeit – ist Ägypten weiter entfernt denn je. Und die Revolution, obwohl gerade einmal fünf Jahre her, ist schon lange Geschichte.

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