Herr Oechslin, was haben Sie für eine Uhr am Handgelenk, wenn Sie an eine Schmuck- und Uhrenmesse gehen?
Ich trage nicht eine Uhr, weil ich an die Schmuck- und Uhrenmesse gehe und insbesondere nicht, um dort zu erscheinen. Ich trage immer Uhren, die noch in der Testphase sind. Heute trage ich beispielsweise eine «Luna Sole» von Ochs und Junior, ein Prototyp. Deswegen sind alle Uhren, die auf dem Markt sind, für mich bereits veraltet.
Aber wird nicht jeder auf Ihr Handgelenk schauen, wenn Sie aufs Messegelände gehen?
Es kommt darauf an, was für ein Hemd ich trage. Es gibt Hemden, bei denen kann man die Uhren gegen aussen tragen. Aber in dem Fall werde ich wohl ein Hemd tragen, bei dem der Ärmel die Uhr abdecken wird.
Was muss eine Uhr haben, damit Sie sich dafür interessieren?
Damit ich sie am Handgelenk trage? Eine solche Uhr muss ein Problem haben, für das ich mich interessiere. Und natürlich stellt sich die Frage: Was gefällt mir und was ist wirklich brauchbar für mich? Da gibt es tatsächlich vernünftigere Konzepte in der Anzeige, es gibt schönere Konzepte in der Umsetzung der Gehäuse und der Zifferblätter. Deswegen stelle ich auch gerne Konzepte für Uhren her und konstruiere sie.
Sie haben gesagt, es interessiere Sie, Probleme zu lösen. Mit was für einem Problem schlagen Sie sich im Moment herum?
Kalender. Wie kann ich einen sehr gut lesbaren, einfach herzustellenden Kalender produzieren, der nicht ständig korrigiert werden muss – also sozusagen einen halbewigen, einen ewigen oder einen Jahreskalender, bei dem man auch nicht mehr die Sextil-Jahre oder die 29. des Februars korrigieren muss. Das sind relativ komplexe Abläufe, die in der Mechanik umgesetzt werden müssen. Da gibt es die verschiedensten Lösungen, über die nachgedacht, die vereinfacht und synthetisiert werden müssen. Das ist es, was mich interessiert.
War dieser Reiz des handwerklichen einer der Gründe, warum Sie sich einst von der Wissenschaft abgewandt und sich der Uhrmacherkunst zugewandt haben?
Das ist schwierig zu sagen. An und für sich ist es die Herausforderung, wie man bestimmte Probleme mechanisch lösen kann. Wie kann man zum Beispiel eine Schlagwerkuhr gestalten und bauen, so dass sie auch wirklich gut funktioniert? Dass sie eine klare Schlagabfolge anzeigt und trotzdem nicht im Werk völlig überbordet oder dermassen kompliziert wird, dass sie nicht mehr zuverlässig ist. Die Mechanik selber ist natürlich faszinierend, wenn sie gewisse Ergebnisse hervorbringt, die man so nicht erwartet. Das ist richtig.
Im Moment reden alle von den «Smartwatches», also Uhren, die die Funktion eines Smartphones übernehmen. Interessiert Sie dieser Bereich auch?
Das kann man vielleicht mit dem Wunsch von Rolf Schnyder (ehemaliger CEO von Ulysse Nardin, Anm. der Red.) vergleichen, der in den 80er-Jahren zu mir kam und ein Astrolab fürs Handgelenk konstruiert haben wollte. Ein Astrolab ist ein komplexes Instrument, womit man zum Beispiel die Sonnen- und Mondstände ablesen kann. Das braucht einfach eine gewisse Grösse. Deshalb war es für mich damals sehr fraglich, ob eine so kleine Anzeige für astrolabische Funktionen überhaupt Sinn macht. Die Herausforderung war zwar, eine mechanische Lösung für dieses komplexes Problem zu finden – das hatte mit der Anzeige aber nichts zu tun.
So ist es meiner Meinung auch bei der Verkleinerung der Anzeigen bei Computern: Technisch ist das auf jeden Fall möglich – ob es aber dann für uns, in Form einer Uhr, zu einem brauchbaren Instrument wird, das ist für mich fraglich. Wenn man allerdings die Sachen so klein macht, dass man sie in unser Hirn implantieren kann, so dass man direkt mit so einem Instrument interagieren kann, dann wird es wieder sinnvoll.
Es gibt in der Industrie eine gewisse Aufregung wegen der «Smartwatches» und Stimmen, die fordern, die Schweiz dürfe diesen Trend nicht wieder verschlafen, wie damals die Quartzuhren in den 1970er-Jahren. Ist die Schweizer Uhrenindustrie Ihrer Meinung nach für diesen Bereich gerüstet?
Was die Computerisierung angeht, da wage ich eher zu bezweifeln, dass unsere Industrie fit ist. Wir haben einfach nicht die Grösse, um die Forschungen, die es dazu braucht, voranzutreiben.
Aber: Die Schweizer Uhrenindustrie hat sich heute als Schmuckindustrie im mechanischen Bereich aufgestellt, und die wird natürlich nicht so einfach zugrunde gehen: Schmuck braucht man immer, Schmuck kann man immer abwandeln, Schmuck kann man immer wieder neu und schöner machen. Schon der Neandertaler hat Schmuck getragen, es ist also so etwas wie ein tägliches Brot, das unbedingt sein muss. Und deshalb wird unsere Industrie nicht so schnell untergehen.