Polizeihubschrauber kreisen über dem Friedhof von Berlin-Gatow, Vertreter des Grünflächenamts verbieten den Künstlern das Abhalten einer Pressekonferenz auf dem Friedhofsvorplatz. Die Journalisten dürfen das Gelände trotzdem betreten. Kamerateams bauen ihr Equipment neben der offenen Grabstätte auf und streiten mit Fotografen um die besten Plätze. Doch als der Trauerzug auftaucht, wird es still.
Eine würdige Beerdigung
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Ein Imam spricht das Totengebet und die muslimischen Besucher beten mit – ein bewegender Moment. Kein Skandal, keine politischen Reden, keine Kunstaktionen. Die Beerdigung ist echt. Die Verstorbene kam aus Syrien. Sie war ertrunken bei ihrer Flucht über das Mittelmeer. «Das Zentrum für Politische Schönheit» konnte ihre Identität feststellen und hat die Angehörigen kontaktiert.
«Wir haben sämtliche Papiere und den Auftrag, das genauso durchzuführen, wie wir es durchführen», erklärt Stefan Pelzer, der so genannte Eskalationsbeauftragte des «Zentrums für Politische Schönheit». Zur Beerdigung ist er mit russgeschwärztem Gesicht erschienen. Das ist das Erkennungszeichen der Künstlergruppe. Der Russ, sagt er, stehe für die verbrannten Hoffnungen der Bundesrepublik Deutschland – sehr theatralisch. Und auch die Geste, mit der er auf die Besuchertribüne neben dem offenen Grab verweist, hat etwas Pathetisches.
Die geladenen Verantwortlichen blieben fern
«Für jeden dieser Stühle war eigentlich jemand eingeladen – die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident, das gesamte Organigramm des Innenministeriums. Wir haben alle Verantwortlichen benannt und jeden einzelnen eingeladen. Keiner ist gekommen.» Die Künstlergruppe weiss, wie man medienwirksame Bilder produziert. Die Beerdigung, so pietätvoll sie auch verlaufen ist, ist eine inszenierte politische Anklage.
Die Gruppe kämpft für das, was sie den Europäischen Mauerfall nennt – für den Abbau der militärischen Sperranlagen an der europäischen Landgrenze. Wenn sie nicht wären, so Stefan Pelzer, würden sich nicht so viele Menschen für die Flucht über das Mittelmeer entscheiden. «Der einzige Grund, weshalb in Deutschland die Stimmung herrscht, dass die Abschottung Europas in Ordnung geht, ist, dass die Menschen die Folgen nicht sehen und die Opfer nicht zu Grabe tragen müssen.» Und das will «Das Zentrum für Politische Schönheit» ändern.
Europas tote Flüchtlinge werden gestapelt
Ab sofort sollen in Berlin täglich im Beisein der Medien Flüchtlinge zu Grabe getragen werden – Tote, die «Das Zentrum für Politische Schönheit» aus dem Mittelmeerraum nach Deutschland bringen lässt. «Man muss die nicht ausgraben», sagt Stefan Pelzer. «Die liegen dort in Kühlkammern. Die liegen dort aufeinandergestapelt. Bei unserer Recherche vor Ort kam die Meldung: 17 Tote auf dem Mittelmeer ertrunken. Einen Tag später war unser Team dort, wo die gelagert wurden: In Müllsäcken, in einer nicht funktionierenden Kühlkammer und der gesamte Boden des Zimmers war voll mit Blut!»
Friedhof vor dem Kanzleramt
Die Mittelmeerländer seien mit der Bestattung der vielen Toten völlig überfordert, meint Stefan Pelzer. Vielleicht könne ein würdevoller Umgang mit den Verstorbenen ja nur gewährleistet werden, wenn man eine Quote für Tote einführen würde. «Das Zentrum für Politische Schönheit» wäre auf jeden Fall dafür. Es würde die toten Flüchtlinge am liebsten vorm Bundeskanzleramt in Berlin bestatten, in Sichtweite der politisch Verantwortlichen.
Das ist die nächste Aktion, die die Gruppe ankündigt. Am Sonntag ab 14 Uhr soll es einen sogenannten «Marsch der Entschlossenen» geben, der am Amtssitz der deutschen Bundeskanzlerin endet. «Wir werden dort den Boden aufstemmen und beginnen, einen Friedhof zu errichten», erklärt Stefan Pelzer. «Ich denke, am Mittwoch wird schon das Baustellenschild aufgestellt.»
An die Grenze gehen mit Erfolg
Auf der Website des «Zentrums für Politische Schönheit» ist der Bagger zu sehen, mit dem das Gräberfeld angelegt werden soll – eine klare Provokation. Es ist auch von der Bestattung echter Toter die Rede, zu der es wahrscheinlich aber nie kommen wird. Die erforderlichen Genehmigungen liegen nicht vor, und bisher hat «das Zentrum für Politische Schönheit» noch nie gegen Gesetze verstossen. Die Künstler gehen an Grenzen, überschreiten sie aber nicht. Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Ihre Aktion hat ein riesiges Medienecho ausgelöst.