Sie sind Initiantin und Mitherausgeberin von «Saphir», den ersten beiden islamischen Religionsbüchern in deutscher Sprache. Was war der Beweggrund, diese Bücher zu schreiben?
Lamya Kaddor: Seit den 1990er-Jahren gibt es in Nordrhein-Westfalen die Islamkunde in deutscher Sprache, die zwar einen Lehrplan vorgibt, jedoch nie Material bereithielt. Es gab auch kein Standardlehrbuch, weshalb man die Unterrichtsmaterialien stets selber entwickeln musste. Aus dieser Not heraus entstand die Idee für diese Bücher.
Sie nennen nur pragmatische Gründe. Haben keine ideellen Überzeugungen mitgespielt?
Die Buchreihe ist wichtig für unsere Gesellschaft: Der Islam gehört zu Deutschland und dies sollte sich in Schulen, im Unterricht und in den Schulbüchern widerspiegeln. Hier spielt die islamische Religionspädagogik eine wichtige Rolle: Ihr muss es gelingen, ein zeitgemässes Islamverständnis zu vermitteln, um den Islam in Deutschland lebbar zu machen.
Wovon liessen Sie sich bei der Entwicklung leiten? Hatten Sie Vorbilder?
Nein, es gab keine richtigen Vorbilder. Wir haben uns aber beispielsweise verschiedene Religionsbücher des Christentums oder des Judentums angeschaut. In anderen Ländern gibt es aber auch islamische Lehrbücher. Die haben wir zur Entwicklung ebenso beigezogen.
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Was hatten Sie dabei für ein Konzept?
Es sollte in erster Linie eine Verbindung zwischen Alltag, Moderne und Religion hergestellt werden. Es ging uns um ein zeitgemässes Islamverständnis. Zudem wollten wir den Kontext zu anderen Religionen herstellen. Die Demokratie und demokratische Werte sind mit dem Islam vereinbar, das sollte dargestellt werden.
Gab es von konservativ-islamischer Seite her kritische Stimmen in Bezug auf den Inhalt?
Ja, als die konservativ-islamischen Verbände unsere Arbeit wahrnahmen, haben sie Kritik geäussert. Scheinbar sei es ihnen zu interreligiös ausgelegt Zudem forderten sie konkretere Anleitungen zum religiösen Alltag.
Wie waren die Rückmeldungen zu Ihrem Buch bis jetzt?
Von einzelnen Berufskollegen höre ich, dass es ihnen gut gefällt und dass sie gerne damit arbeiten. Auf der Frankfurter Buchmesse wurde es zudem als das beste europäische Schulbuch des Jahres 2009 gewürdigt. In Niedersachsen hingegen wurde uns die Genehmigung für das Schulbuch entzogen, weil der dortige islamische Beirat, Schura genannt, sich gegen eine weitere Genehmigung ausgesprochen hat. Ich vermute, es ist nicht katechetisch genug. Ich persönlich halte das für einen Skandal. Scheinbar verzichtet die dortige islamische Vertretung lieber auf ein ausgezeichnetes Buch.
Was erhoffen Sie sich in Zukunft von diesen Lehrbüchern?
Ich wünsche mir, dass es innermuslimisch stärker akzeptiert wird. Ein islamisches Schulbuch muss interreligiös ausgerichtet sein, weil dies zum Selbstverständnis des Islams gehört – vor allem des Islams in einem Einwanderungsland. Es wäre wichtig, dass es die Konkurrenz beflügelt; ich würde mir wünschen, dass dadurch auch andere Theologen und Verbände angestiftet werden, solche Bücher und Schulmaterialien zu erstellen. Dadurch soll eine Debatte entstehen und der islamische Religionsunterricht besser und reichhaltiger werden.