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Gesellschaft & Religion Ein Neubau mit Platz zum Mitdiskutieren und Mitdenken

Das Stadtmuseum Aarau erstrahlt in neuem Glanz. Mit dem schlichten Erweiterungsbau kann jetzt auch mit grosszügigen Wechselausstellungen auftrumpfen. «Demokratie – Von der Guillotine zum Like-Button» lautet der Titel der Eröffnungsausstellung, die ausgesprochen attraktiv geraten ist.

Wo einst ein 120 Meter hoher Mammutbaum wuchs steht jetzt ein grosser, heller Würfel: der Erweiterungsbau des Aarauer Stadtmuseums. Links davon das alte Kongress- und Kulturhaus, rechts gleich im Anschluss der mittelalterliche Turm. Dazwischen – neu entstanden – ein Platz. Der Erweiterungsbau sei mehr als ein Neubau, er sei ein Teil Stadtentwicklung, sagt dazu Architekt Roger Diener vom Basler Architektur-Büro Diener & Diener: «Der Schlossplatz hat nun endlich auch die Form eines Platzes erhalten.»

Ein Platz für den Austausch

Eröffnungsausstellung

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Die Eröffnungsausstellung «Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button» des Stadtmuseums Aarau ist noch bis am 31. Januar 2016 zu sehen.

Schlossplatz 23 ist denn auch die Adresse des schlichten Werks, das beim Herantreten eine wundersame Wirkung entfaltet: Die helle, einheitliche Fassade wirkt zusehends lebendig durch die rechteckigen Betonplatten, auf denen Figuren zu sehen sind: Frauen und Männer, jung und alt, elegant und legère gekleidet. Diese Menschenbilder hat der Künstler Josef Felix Müller geschaffen, indem er den mächtigen Stamm des gefällten Mammutbaums in 134 Platten zersägen lassen hat. In die Platten hat er mit der Motorsäge die Vorlagen für die Figuren geschnitzt und sie in Beton gegossen.

Auffällig ist nicht nur die Haupt-Fassade, auffällig ist auch der Eingang des Stadtmuseums: drei riesige Fenster, von denen sich zwei wegschieben lassen. «Salopp haben wir das auch schon als Scheunentor bezeichnet», so Diener.

Mitmachen und Mitdenken erwünscht

Wie in einem Bauernbetrieb sollen im Stadtmuseum Aarau alle mitarbeiten: Das Museum, das die Geschichte Aaraus auslotet und darstellt, versteht sich auch als Plattform. Man will sich mit der Bevölkerung austauschen und sie mitwirken lassen. Architektonisch heisst das: Das Innen und Aussen treten in einen Dialog. Wenn die Fenster weggeschoben sind, scheint der Schlossplatz nahtlos ins grosse Foyer überzugehen.

Wie ein öffentlicher Platz, der zur Diskussion und Mitarbeit anregt, ist auch die bilderreiche Eröffnungsausstellung «Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button» inszeniert. Den Besuchern werdenFragen gestellt, wie «Wann und wo haben sie zum ersten Mal in ihrem Leben mitbestimmt?». Der Ausstellungsmacher Marc Griesshammer beantwortet die Frage so: «Mir war es immer wichtig, dass ich die Kleider selber auswählen konnte. Ich wollte mich irgendwann nicht mehr anziehen lassen von meinen Eltern». Wäre er ein normaler Besucher, würde er die Antwort mit der bereitliegenden Kreide auf die grosse Wandtafel schreiben.

Die Guillotine – Symbol für den Kampf um Demokratie

«Mitbestimmung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Kein Mensch wird geboren, sich ein Leben lang unterzuordnen. Im Gegenteil», sagt Marc Griesshammer. Aber: Mitbestimmung verlange auch Engagement. Und dieses Engagement habe einen Preis, der hoch sein könne. Darum hat Marc Griesshammer mitten in der Ausstellung eine 3,5 Meter hohe Guillotine platziert. Eine Guillotine aus Holz und weissem Papier, umrankt von weissen Papierrosen mit Vögeln und Schmetterlingen. Für den Ausstellungsmacher ist diese künstlerische Installation ein Symbol dafür, dass der Kampf um Demokratie blutig ist. Er erinnert an die Französische Revolution: 50 Jahre habe es gedauert, bis verbindliche Verfassungen vorlagen.

Verkaufen Sie mir Ihre Stimme?

Wir lernen: Demokratie ist ohne Auseinandersetzungen und Austausch nicht zu haben. Demokratie ist mehr als Ja oder Nein. Mehr als einfach einen Like-Button drücken, sagt Griesshammer: «Es gibt Studien, die sagen, dass der Austausch, der nur noch in Richtung pro oder kontra geht, wie beispielsweise beim Like-Button von Facebook, die Konsenssuche verloren geht.»

Verliert die Stimme dadurch an Wert? Ganz am Schluss der Ausstellung werden die Besucher an einer Art Guckkasten vorbeigeschleust. Zu sehen: ein puppenstubengrosses Stimmlokal, wo eine Frau an einem Tisch sitzt und plötzlich zu sprechen beginnt: «Ich bin auf der Suche nach Stimmen. Werden Sie mir Ihre Stimme verkaufen?»

Sendehinweis: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 27.4.15, 17.06.

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