An vielen Orten der Welt kämpfen Homosexuelle noch heute um gleiche Rechte. Welche Argumente sie auch anführen, es ist wahrscheinlich, dass einige davon erstmals von Heinrich Hössli gedacht wurden. Der Glarner gilt heute als erster Kämpfer für die Rechte der Homosexuellen überhaupt. Vor fast 200 Jahren schrieb er Sätze wie: «Schwulsein entspricht der Natur» oder «Die Verfemung Homosexueller ist eines der grössten Unrechte überhaupt».
Der Putzmacher von Glarus
Heinrich Hössli kam 1784 zur Welt, im selben Glarner Dorf, in dem zwei Jahre später Anna Göldi geköpft wurde, die letzte Hexe Europas. Hössli wuchs in einer widersprüchlichen Zeit auf: Konservative Kräfte prägten das Glarnerland, gleichzeitig hielten die Aufklärung und erste Industrialisierungsschübe Einzug.
Nach einer Lehre als Putzmacher in Bern – heute wäre das etwa ein Stylist – kehrte Hössli in sein Heimatdorf zurück. Glarus wuchs zu der Zeit so rasant, dass es bald das Prädikat «städtisch» erhielt. Die Glarner wurden bekannt für ihren ausserordentlichen Geschäftssinn, die Baumwollindustrie prosperierte.
Auch politisch herrschte Aufbruchstimmung: 1829 wurde die staatliche Zensur abgeschafft, die Rede- und Pressefreiheit eingeführt. In dieser neuen Freiheit schrieb der aufklärerisch und liberal gesinnte Putzmacher Heinrich Hössli eines der ersten Werke des schwulen Kanons. 600 Seiten, zwei Bände mit dem Titel: «Eros, die Männerliebe der Griechen».
Männerliebe: Natürlich und gottgegeben
Ein Todesurteil hatte Hössli auf das Thema Männerliebe aufmerksam gemacht. Verhängt über einen Juristen, der im Liebeswahn seinen Schreiber tötete. Der Gerichtsfall trieb ihn um und veranlasste ihn, eine Abhandlung zu schreiben. Er leitete her, dass es Homosexualität schon immer gegeben habe und deshalb etwas Natürliches sei.
Hössli bezog sich auf «Stimmen und Zeugen» vergangener Jahrtausende, insbesondere Platon und Sokrates. Von Haus aus kein gebildeter Mann, las sich Hössli Vieles an. Er studierte unzählige Bücher und schrieb – getrieben von einem quälenden Gerechtigkeitssinn – fast ununterbrochen.
In seinem «Eros» verglich er die Verfolgung Homosexueller mit der Hexenverfolgung, einem Unrecht, das den fortschrittlichen Glarnern unterdessen peinlich war. Hössli hoffte vor allem auf die Anerkennung wissenschaftlicher Kreise, als er sein Buch 1836 auf den Markt brachte.
Seiner Zeit voraus
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Doch Hössli hatte sich verschätzt. Obwohl im selben Jahr eine liberale Kantonsverfassung in Kraft trat, wurde sein Buch von einem kirchlichen Sittengericht verboten. Hössli war erstaunt und verärgert.
Zwei Jahre später veröffentlichte er deshalb seinen zweiten Band in St. Gallen, worauf die Glarner Behörden fast alle Exemplare dieses Buches aufkauften. Die beiden Bände über die Männerliebe der Griechen blieben nahezu ungelesen.
Der Druck der Bücher trieb Heinrich Hössli an den Rand des finanziellen Ruins. Enttäuscht kehrte er 1850 seiner Heimatgemeinde Glarus den Rücken und wanderte nach Winterthur aus. 1864 starb Heinrich Hössli als einsamer Mann, der seine Lebensaufgabe als erfüllt ansah.
Es ist anzunehmen, dass Hössli selber schwul war, sicher ist es aber nicht. Er war verheiratet und hatte zwei Söhne, lebte aber von der Familie getrennt und lieber für sich alleine.
Der erste von vielen
Nach seinem Tod blieb es lange still um Hössli. Erst Anfang des 20. Jahrhundert nahmen sich mehrere Männer des Glarners und seiner Ideen an. In den 1970er-Jahre schliesslich war die Methode, Homosexualität durch die Erwähnung bekannter, offensichtlich schwuler Männer zu legitimieren, sehr gängig.
Der schwule Kanon, also die Literatur, auf die sich Homosexuelle immer wieder beziehen, beginnt bei Hössli. Sein «Eros» war die allererste Zusammenstellung der «Stimmen und Zeugen».
Hössli ist der geistige Vater einer Bewegung, die bis heute für rechtliche Gleichstellung kämpft. Auch rund 150 Jahre nach Hösslis Tod, ist noch immer nicht überall beseitigt, was Hössli anno dazumal in seinem Buch als «dem Hexenglauben ähnliches Weltscheusal» bezeichnete.