Barbara Metelska, Sie arbeiten seit Jahren in Deutschland und in der Schweiz als Betreuerin von pflegebedürftigen Menschen in privaten Haushalten. Was fällt Ihnen dabei auf?
Dass die Anstellung von Betreuerinnen in privaten Haushalten in der Schweiz noch nicht so verbreitet ist wie in Deutschland. Ich glaube aber, dass der Bedarf auch hier gross ist. Vermutlich gibt es mehr Plätze in Pflegeheimen. Ich habe den Eindruck, dass die alten Menschen hier alleine leben wollen, so lange es geht, und dabei von ambulanten Pflegediensten unterstützt werden. Die Schweizer scheinen mir auch eher bescheiden und zurückhaltend zu sein, wenn es darum geht, eine fremde Person bei sich zu Hause beanspruchen – den ganzen Tag und manchmal auch nachts. Eine private Betreuung können sich wohl viele auch nicht leisten.
Welche Bedeutung haben die Angehörigen, wenn Sie sich um einen alten Menschen kümmern und in dessen Wohnung fast rund um die Uhr zur Verfügung stehen?
Die Familie ist zentral. Der Kontakt zu den Kindern und Enkeln ist sehr wichtig. Diese Beziehung kann keine Betreuerin ersetzen, auch wenn sie noch so gut ist. Deswegen ist die Zusammenarbeit zwischen der Pflegeperson und den Angehörigen von grosser Bedeutung. Die Angehörigen sollten regelmässig zu Besuch kommen und anrufen, nicht nur an Geburtstagen.
Ich habe schon erlebt, dass man zu Weihnachten gerne verreist und die Eltern mit der Betreuerin zurücklässt. Das sind schwierige psychische Situationen, die nichts mit Religion zu tun haben. Weihnachten bedeutet in unserer Kultur, sich Zeit für die Familie zu nehmen. Da sollten die alten Menschen auf keinen Fall einsam sein. Auch unseren Kindern müssen wir zeigen, wie man mit den alten Menschen umgeht. Das ist auch in unserem eigenen Interesse, wir werden ja auch alt und sind vielleicht irgendwann dement.
Stellen Sie im Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen Unterschiede fest zwischen der Schweiz und Polen?
Es gibt viele Unterschiede. Polen hat eine andere historische Vergangenheit als die Schweiz und ist in einer anderen wirtschaftlichen Situation. Die Polen sind ärmer, und die meisten können es sich einen Pflegeheimplatz für ihre Eltern nicht leisten. Aber sie schämen sich auch mehr, die eigenen Eltern in fremde Hände zu geben. Man scheut sich davor, die Mutter ins Altersheim zu geben, weil sie einen verrückt macht mit ihrem verwirrten Gerede oder weil sie dort professioneller betreut wird. Das Gebot «Ehre deinen Vater und deine Mutter» ist in der Kultur meines Landes noch sehr verankert.
Umgekehrt wollen bei uns viele alte Menschen ihre Kinder nicht belasten, sie bleiben lieber krank und allein im eigenen Haus, bis es für die Kinder so unerträglich wird, dass diese sagen: «Okay, wir schaffen das.» Doch diese Haltung wird sich ändern, wenn die Menschen mehr finanzielle Mittel haben. Aber auch, weil das Erwerbsleben immer anspruchsvoller wird.
Bei Ihrer Tätigkeit bekommen Sie auch Einblick, wie in der Schweiz spitalexterne Dienste, Pflegeheime und Spitäler mit alten Menschen umgehen. Wie schätzen Sie diese öffentlichen Institutionen ein?
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Ich komme bei meiner Arbeit immer wieder mit Spitex-Mitarbeiterinnen in Kontakt und habe einen sehr guten Eindruck: Sie sind sehr populär, zuverlässig und geniessen viel Vertrauen. Von den Kolleginnen, die in Pflegeheimen arbeiten, höre ich vor allem, dass sie oft überfordert sind und nicht viel verdienen. Es ist offensichtlich, dass es einen Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal gibt. Zugleich ist es schwierig, in diesem Bereich eine Stelle zu bekommen. Das ist ein Paradox, das ich nicht verstehe.
Was fehlt Ihrer Meinung nach bei der Betreuung betagter Menschen in der Schweiz?
Zunächst muss ich sagen: Das Angebot der Unterstützung ist in der Schweiz im Vergleich etwa mit Polen sehr umfangreich. Die Pflegeheime sind schön und gut ausgestattet, die ambulante Pflege entlastet die Angehörigen. Und es gibt auch soziale Netzwerke und Stiftungen, die sich um alten Leute kümmern. Das bedeutet, dass das Thema «Hilfe für Senioren» gesellschaftlich breit abgestützt ist.
Vor diesem Hintergrund erstaunt mich, dass Betreuerinnen und Pflegerinnen, die Schwerarbeit leisten, oft ausgenutzt und unterschätzt werden. Man sollte nicht vergessen, dass eine Pflegekraft einen betagten Menschen in seiner Einsamkeit und Hilflosigkeit begleitet, ihm zuhört, wenn Erinnerungen und Geheimnisse hochkommen. Dann ist die Betreuerin oft die einzige Person, die ihm bei seinen existenziellen Ängsten und manchmal sogar beim Sterben beisteht.
Es geht also um eine aussergewöhnliche, eine gesellschaftlich und persönlich bedeutende Rolle. Und darum sollte diese Arbeit sehr gut bezahlt werden, sagen wir, mindestens so gut wie ein Finanzberater, der das Bankkonto betreut.