Es ist ein einzigartiges, archäologisches Experiment: Ausschliesslich mithilfe von handwerklichen Mitteln des frühen Mittelalters soll in der süddeutschen Gemeinde Messkirch innerhalb von vier Jahrzehnten eine mittelalterliche Klosterstadt entstehen. Dabei wird komplett auf moderne Bautechniken verzichtet.
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Die Idee dazu hatte der Aachener Journalist Bert Geurten. Er ist einer jener Menschen, die verrückte Jugendträume nie aufgeben. Seit er vor bald 50 Jahren in Aachen ein Modell des St. Galler Klosterplans gesehen hatte, ging ihm diese – im Mittelalter als ideal empfundene – Siedlung nicht mehr aus dem Kopf. Und so hat er den Entschluss gefasst, den nie realisierten Bauplan umzusetzen.
Ein karolingisches Meisterwerk
Der Bauplan ist ein Grundrissplan mit einer grossen Klosterkirche in der Mitte und 51 Gebäuden rundherum, ein 112 mal 77 Zentimeter grosses Pergament aus dem 9. Jahrhundert. Von Handwerksbetrieben über Wohnhäuser bis zu Bildungseinrichtungen sind alle wichtigen Gebäude einer damaligen Klosterstadt eingezeichnet.
Es ist der einzige bekannte Architekturplan aus der Zeit zwischen der Antike und dem 12. Jahrhundert. Und er ist immer noch in erstaunlich gutem Zustand. Den Namen «St. Galler Klosterplan» trägt das Pergament, weil es ein Geschenk des Abtes Haito von Reichenau an Abt Gozbert war, der damals dem Kloster St. Gallen vorstand.
Begehung der Baustelle
Auf der 8,5 Hektar grossen Waldfläche neben der Stadt Messkirch herrscht reges Treiben. Rund ein dutzend Mitarbeiter aus einem Arbeitslosenprojekt machen den Anfang: Sie flechten aus Weiden Transportkörbe, nähen Arbeitskleider aus Flachs und stellen die ersten Schaufeln und Dachschindeln her. Für jeden Meissel, jedes Drechselinstrument, jeden Ochsenkarren und sogar für den Mörtel wird der Wissensstand des 9. Jahrhunderts angewendet. Dies ist dem Initiator Geurten wichtig, da er das Projekt als «experimentelle Archäologie» bezeichnet: «Die Klosterstadt wird zur wichtigen Quelle für viele Bachelor- und Doktorarbeiten werden.»
«Experimentelle Archäologie»
Die Wissenschaft hat den Wert des Megaprojekts erkannt, und so sind fünf Universitäten und 18 Wissenschaftler an den Arbeiten beteiligt. Sie erhoffen sich Erkenntnisse über die karolingische Architektur und Bautechnik, da aus dieser Zeit nur sehr wenig schriftlich überliefert ist.
Ein weiterer wissenschaftlicher Begleiter ist der St. Galler Stiftsbibliothekar Ernst Tremp. Er sieht im Bau der Klosterstadt in Deutschland wiederum einen Gewinn für die Unesco-Stätte St. Gallen.
Anschub-Finanzierung durch EU
Finanziert wird das ganze vorerst durch eine Anschub-Finanzierung von einer Million Euro durch die EU, Baden-Württemberg und Messkirch. Die laufenden Kosten will der Verein Campus Galli, extra für das Projekt gegründet, mit dem Verkauf von Eintritten decken. Mit steigendem Bekanntheitsgrad rechnet der Verein mit 150‘000 Besuchern pro Jahr. Das ist realistisch, denn die nahe gelegene Pfahlbauersiedlung Unterhuldingen hat jährlich 300‘000 Besucher.
Um so viele Besucher wie möglich anzulocken, versichert Initiator Bert Geurten, dass der Klosterplan konsequent mit den Mitteln des 9. Jahrhunderts umgesetzt wird. Die einzige Ausnahme: «Die Handwerker tragen einen Helm mit Filzüberzug», erklärt Bert Geurten. Denn die Umweltschutz- und Sicherheitsvorschriften des 21. Jahrhunderts müssten trotzdem eingehalten werden.