Die Schweiz kennt ein Bevölkerungswachstum, wie es das Land schon lange nicht mehr gesehen hat. Acht Millionen sind es mittlerweile, und es werden mehr. Nicht wegen vieler Geburten, sondern wegen der Einwanderung, vor allem aus den europäischen Ländern, hauptsächlich aus Deutschland.
Die Strassen verstopft, die Wohnungsnot in manchen Städten prekär, trotz anhaltender Baukonjunktur, mit Neubauten, vor allem auf der grünen Wiese. Die Reaktion darauf: In manchen Kantonen, etwa im Kanton Schwyz, im Kanton Zug, wird offen über eine Wachstumsbremse diskutiert.
Das Volk hat an der Urne gezeigt, dass es nicht noch mehr Zweitwohnungen im Alpenraum will, und zwei Initiativen wollen die Einwanderung aus dem europäischen Umland begrenzen. Zum einen die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» der SVP, zum anderen die Initiative «Stopp der Überbevölkerung», eingereicht von der bevölkerungspolitischen Organisation Ecopop. Letztere will die Einwanderungsquote auf 0,2 Prozent der Bevölkerung begrenzen, die andere überlässt die Quote dem Gesetzgeber. Gemeinsam aber ist beiden, dass sie gegen die Freizügigkeit der EU gerichtet sind.
Die alte Angst vor Überfremdung
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Das Wort Überfremdung kommt in den Initiativtexten und in den Argumentarien der Initiativkomitees nicht vor und doch geht es darum: um die Angst vor der Überfremdung. Blenden wir zurück zum Abstimmungssonntag am 7. Juni 1970, als die erste sogenannte Überfremdungsinitiative vors Volk kam. Die sogenannte Schwarzenbach-Initiative, lanciert vom damaligen Nationalrat James Schwarzenbach, Mitglied und Mitbegründer der Nationalen Aktion, kam zu einer Zeit zur Abstimmung, in der es der Schweiz gut ging: Die Ölkrise lag noch in weiter Ferne, die Wirtschaft boomte, es ging vorwärts mit dem Wirtschaftswunder.
Nur: Ein Unbehagen machte sich breit. Es war die Einsicht, dass die vielen Arbeiterinnen und Arbeiter, die zum Wohlstand in der Schweiz beigetragen hatten, auf Dauer hier bleiben würden. Die italienischen, spanischen und portugiesischen Arbeiterinnen und Arbeiter machten sichtbar, dass die Schweiz zu einer anderen geworden war, zu einem vielgestaltigen, kulturell vielfältigen Land.
Diese erste Überfremdungsinitiative wurde abgelehnt, wenn auch relativ knapp. Aber es kam noch eine, am 20. Oktober 1974, und dann die nächste, die sogenannte vierte Überfremdungsinitiative, über die am 13. März 1977 abgestimmt wurde. Und so ging es weiter, über die 18-Prozent-Initiative bis zu den Initiativen, die heute auf der Tagesordnung stehen.
Eine Schweizer Erfindung
Das Wort «Überfremdung» ist eine Schweizer Erfindung. Es stammt vom Zürcher Armensekretär Carl Alfred Schmid, der im Jahr 1900 befürchtete, die Armenkasse könnte wegen der vielen «armengenössigen» Fremden zahlungsunfähig werden. Der Begriff machte rasch Karriere, vor allem in der deutschsprachigen Schweiz und wurde zum Sammelbegriff für die Ängste vieler Schweizer vor dem Fremden.
Der Begriff tauchte wieder auf nach dem Ersten Weltkrieg, als die Schweizer Ausländerpolitik innert kurzer Zeit sehr restriktiv wurde, er hielt sich in der Zeit des Faschismus und wurde zum Bestandteil der Geistigen Landesverteidigung. In den Zeiten der Hochkonjunktur richtete er sich gegen die spanischen, italienischen und portugiesischen Gastarbeiter, schreibt der Historiker Patrick Kury, um sich dann, in anderem Gewand, zu Beginn des neuen Jahrtausends gegen den «Islam» und die «Islamisierung» zu wenden.
Doch hinter den Ängsten vor Überfremdung, sagt der Migrationsforscher Gianni d'Amato, stünden auch handfeste Ängste vor dem Verlust von Heimat. Man fürchte sich vor dem Verschwinden jener «Kuhglockenschweiz», der kleinstädtischen Übersichtlichkeit, der homogenen, idyllischen Schweiz. Es sei, betont Gianni d'Amato, auch eine Angst vor der Modernität.
Unklare Entwicklungen
In welche Richtung die politischen Diskussionen im Zusammenhang mit den beiden Initiativen gehen würden, ist noch unklar, sagt Jörg Tremmel, Professor für generationengerechte Beziehungen an der Universität Tübingen. Auch er, der als Referent für die Vereinigung Ecopop auftritt, kann nicht ausschliessen, dass es zu fremdenfeindlichen, xenophoben Reaktionen kommen wird. Man wird sehen.