Zum Inhalt springen

Gesellschaft & Religion Eintauchen in längst vergangene Arbeitswelten

Vom Milchmann im 19. Jahrhundert, dem Fabrikarbeiter der Nachkriegszeit bis zum heutigen Büro von Google: Die Lohnarbeit in der Schweiz hat sich in den letzten 150 Jahren enorm verändert. In einer erhellenden Fotoausstellung geht das Schweizerische Nationalmuseum dieser Entwicklung nach.

Eine grossformatige Fotografie aus dem Jahre 1898, schwarzweiss, eine Supertotale. Rund 150 Arbeiter haben sich auf dem hölzernen Baustellengerüst auf vier Etagen aufgereiht: «Bau einer Ziegelei» heisst das Bild.

«Man sieht die Bauarbeiter mit ihren typischen Werkzeugen: Keller, Hammer, Sägen. Einige der Arbeiter sind sehr, sehr jung, fast noch Kinder, auch eine Frau ist dabei. Und vorne stehen die gut gekleideten Bauherren mit ihren Plänen in der Hand», erklärt Dario Donati, der Kurator der Ausstellung «Arbeit. Fotografien 1860 bis 2015». In diesem einen Bild werde eine ganze Unternehmensstruktur festgehalten, schwärmt er: «Was man alles entdeckt, wenn man mit dem Blick hineinzoomt, ist unglaublich.»

Ausstellungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Die Ausstellung « Arbeit. Fotografien 1860 bis 2015 » ist vom 11. September 2015 bis zum 3. Januar 2016 im Landesmuseum in Zürich zu sehen. Parallel dazu erscheint eine mit rund 200 Fotografien bebilderte Publikation im Zürcher Limmatverlag.

150 Jahre Lohnarbeit in einer Ausstellung

Das Bild «Bau einer Ziegelei» hängt in der grossen Halle im Anbau des Landesmuseums in Zürich. Im selben Raum ist auch ein anderes grosses Bild in Schwarzweiss zu sehen: Es zeigt ein Zimmermädchen, das für die Kamera posiert. Mit ernstem Blick und weisser Schürze hält sie ihren Besen in der Hand. Entstanden ist die Fotografie 1865 im Hotel Beau-Rivage in Lausanne.

In derselben Halle, auf der anderen Seite, hängen auch zeitgenössische Fotografien: farbig, Menschen im CERN vor ihren Laptops. Zwischen dem Zimmermädchen und den Farbfotografien liegen 150 Jahre Lohnarbeit, chronologisch angeordnet. Das ist bisher einmalig in der Schweiz.

Der Kopf wird das Kapital

Eine ganz besondere Erkenntnis der Ausstellung erschliesst sich aber erst auf den zweiten Blick: Nicht nur die Berufe und Arbeitsumgebungen haben sich in 150 Jahren verändert, sondern auch die Fototechnik, wie Kurator Dario Donati erklärt:

«Die Kameras der ganz frühen Fotografie waren riesige Möbel mit Glasplatten, die schwer zu transportieren waren. Da war es einfacher, die Leute ins Studio zu holen, ihnen einen Hammer in die Hand zu geben und sie so als Maurer zu fotografieren.»

Mit den Jahren wurden die Kameras kleiner, mobiler, und plötzlich hatte man die Möglichkeit, hinauszugehen und die Personen direkt bei der Arbeit abzulichten.

«Der arbeitende Mensch rückt immer mehr ins Zentrum der Fotografie und wird wichtiger. Genauso ist es in der Arbeitswelt: Der Kopf ist immer mehr das Kapital, nicht mehr die Maschine», sagt Dario Donati.

400‘000 Fotografien sollen öffentlich werden

Neben der Fotochronik, dem Kernstück der Ausstellung, werden auch Aspekte wie die Arbeitsmigration beleuchtet. Ebenso die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit in 150 Jahren verändert hat.

Auch diese Fotografien – bis auf die zeitgenössischen – stammen alle aus der umfangreichen Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums. Rund 400'000 Fotografien gehören dazu. Seit 2013 werden sie systematisch aufgearbeitet, mit dem Ziel, die Sammlung ab 2016 Schritt für Schritt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der erste Schritt dazu ist nun mit dieser Ausstellung mehr als gelungen.

Meistgelesene Artikel