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Gesellschaft & Religion Ethik im Börsenalltag?

Diskutieren Börsenmitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alltag ethische Fragen? Die Antworten sind sehr unterschiedlich.

Der Frankfurter Philosoph und Börsenmitarbeiter Sven Grzebeta sagt, selbstverständlich würden ethische Probleme im Börsenalltag diskutiert.

«Ethik und Ästhetik der Börse»

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Themenmorgen auf Radio SRF 2 Kultur. Die Sendungen «Kontext» und «Reflexe» fragen nach der Ethik an der Börse.

Das bestätigt auch Luca Pertoldi, Leiter Handel der Basler Kantonalbank. Bei den Reportagen in Börsenhandelsräumen von Schweizer Banken für den Themenmorgen «Ethik und Ästhetik der Börse» auf SRF 2 Kultur sagt er, dass ethische Fragen sehr wohl diskutiert werden. Pertoldi verweist zugleich auf das umfangreiche Weisungswesen seiner Bank. Dass man sich mit diesen Fragen auseinandersetzt, ist nicht nur in der Kantonalbank so.

Ethische Fragen seien auch in seinem Unternehmen «ein ganz grosses Thema», sagt Thomas Leibssle, Leiter Securities Trading von Raiffeisen. Sie hätten in letzter Zeit enorm viele Anfragen von Gremien und Institutionen, die sich auf die Einhaltung von Richtlinien beziehen. Stichwort: Datenaustausch mit den USA.

Ethisches Investment

Haben die Börsenhändler, die ja unter grossem Zeitdruck arbeiten, überhaupt Zeit für Gedanken an Ethik? «Es muss Zeit dafür vorhanden sein. Denn heute kann man es sich einfach nicht erlauben, Regelungen oder Gesetze zu umgehen oder wissentlich zu Fehlern beizutragen», sagt Leibssle.

Auf Anlegerseite werde heute ebenfalls Wert gelegt auf ethisches Investment, etwa in sozial und ökologisch verträgliche Titel, ergänzt Ronald Hinterkircher, Co-Leiter Kapitalmarkt von Raiffeisen: «Es gibt sogar Bewertungs-Unterschiede. Man sagt: Diese Firma ist ethisch verträglicher, das ist ein Benchmark, da ist der Preis wahrscheinlich etwas günstiger als bei einer Firma, mit deren Hintergrund man es schwerer hat, Kunden zu finden. Das fliesst in den letzten vier, fünf Jahren gut in den Markt ein.»

Ethik in der Kaffeepause?

Eine Bankmitarbeiterin, die nicht namentlich genannt sein will, sagt dagegen: «Ich glaube, die Moral ist in unserem Geschäft sicher weniger vorhanden als an anderen Orten, weil es nun mal in erster Linie um Profit geht.» Ethische Fragen hätten in der Finanzbranche «höchstens in der Kaffeepause Platz», stellt auch Marc Chesney fest, Professor für Quantitative Finance am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. «Es gibt keine Anreize, die ethischen Probleme tiefer zu betrachten.»

Buchhinweise

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Marc Chesney: «Vom Grossen Krieg zur permanenten Krise», Zürich 2014

Sven Grzebeta: «Ethik und Ästhetik der Börse», München 2014

Michael Lewis: «Flash Boys, Revolte an der Wall Street», Frankfurt 2014

Emile Zola: «Das Geld», Frankfurt 1995

John Lanchester: «Kapital», Stuttgart 2012

Die Börse habe zu Recht ein Imageproblem, denn «es gibt immer mehr Wetten anstelle von Investitionen, und das widerspricht dem Geist des Liberalismus, dem Geist der Ökonomie. Es scheint, dass es anstelle von Verantwortung immer mehr Zynismus gibt. Das ist problematisch, weil sich dieses Denken im Kern der Finanzsphäre ausgebreitet hat, bei den Grossbanken.»

Chesney sagt, junge Trader wie der Franzose Jérôme Kerviel, der 2008 seinem Arbeitgeber, der Grossbank Société Générale, einen Verlust von 5.9 Milliarden Euro verursachte, hätten «alle Werte vergessen, die sie in ihrer Familie, in der Schule und vielleicht an der Universität gelernt» hätten. Ihr einziges Ziel sei, so schnell wie möglich Boni zu erhalten – «auf Kosten der Gesellschaft».

Hochfrequenzhandel: Wie im Casino

Dringenden Handlungsbedarf sieht Marc Chesney beim sogenannten «Hochfrequenzhandel»: «70 Prozent der Transaktionen in den USA werden heute in der Mikrosekunde gemacht, das heisst in der Millionstelsekunde. Die Hälfte der Transaktionen in Europa erfolgen in Zeiträumen zwischen einer Milli- und einer Mikrosekunde. Das sind Eigenschaften eines Casinos», sagt Chesney.

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Raphael Zehnder über Hochfrequenzhändler: die «Flash Boys»
04:42 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 42 Sekunden.

80 Prozent dieser Transaktionen würden innert Sekunden storniert.

«Das Ziel ist, falsche Informationen zu erzeugen, um zu checken, was andere High-Frequency-Computer machen.

Das hat gar nichts zu tun mit der Realwirtschaft, sondern mit einem Spiel.

Die Realwirtschaft funktioniert in Tagen, Wochen, Monaten und Jahren – nicht in Mikrosekunden.»

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