Die junge Frau mit Kopftuch und Mantel sieht aus, als ob sie keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte. Dann plötzlich ein Schrei, ein blutiger Schwall aus dem Mund, verdrehte Augen, knackende Knochen. Im Hintergrund die Stimme des Muezzins.
Gözde Yetkin bekommt eine Gänsehaut, als sie die Szene aus ihrem Lieblingsfilm nacherzählt. Und das, obwohl sie den neuesten türkischen Horrorstreifen «Siccin 3» schon drei mal angesehen hat.
«Ich glaube an solche Geschichten, in denen Menschen mit Flüchen belegt werden», sagt die 22-Jährige. «Natürlich nicht genau so, wie sie in den Filmen passieren. Aber ich bin sicher, dass so etwas vorkommt.»
Gözde, Informatikstudentin im fünften Semester, gehört nicht zu den strenggläubigen Muslimen, die jeden Tag in die Moschee gehen würden. Und doch ist es gerade der Islambezug, der dafür sorgt, dass ihr vor allem türkische Horrorfilme in die Knochen fahren. «Amerikanische Produktionen kommen mir dagegen meist eher lustig vor», so die Istanbulerin.
Möglichst brutal, möglichst religiös
Dass sie damit nicht allein ist, zeigen die Zahlen: Mehr als 20 islamische Horrorfilme liefen allein im vergangenen Jahr in den türkischen Kinos. 2016 dürften es noch mehr werden – die Branche boomt. Das Erfolgsrezept der türkischen Produzenten: möglichst brutal, möglichst religiös.
Statt Geistern und Zombies spuken in den Bosporus-Produktionen «Cins» umher – Feuergeister, vor denen sich in der Türkei längst nicht nur Kinder fürchten. Statt Priestern treiben muslimische Gelehrte Menschen und Tieren den Teufel aus und – schon im Koran erwähnte – schwarze Magie sorgt dafür, dass aus braven Hausmütterchen blutrünstige Monster werden.
«Wenn du einen guten Horrorfilm machen willst, dann muss er auf die Kultur ausgerichtet sein, in der du lebst», so Filmemacher Alper Mestci, dessen Produktionen zu den erfolgreichsten türkischen Horrorfilmen der letzten Jahre gehören. «Du musst an lokale Themen anknüpfen. Und dazu gehört in der Türkei vor allem der Glaube an die schwarze Magie.»
Flüche und Feuergeister
Tatsächlich: Studien zeigen, dass einer von neun Türken entweder schon mal selbst einen Fluch angewendet hat oder von einem belegt wurde. Schon kleine Kinder lernen auch: Wer sein Essen nicht aufisst, der lockt die Feuergeister an. All das ist weit mehr als ein bisschen Aberglaube.
Für seine Drehbücher unterhielt sich Filmemacher Alper Mestci mit muslimischen Imamen im ganzen Land. Denn bei aller Fiktion – die religiösen Details, so weiss er, müssen stimmen. Es sind besonders religiös geprägte Zuschauer, die sich seine Filme ansehen.
Kein Wunder, findet Filmkritiker und Unidozent Kaya Özkaracalar aus Istanbul, dass der Trend gerade unter einer islamisch geprägten Regierung seinen Höhepunkt erreicht. «In einem grossen Teil dieser Filme sind es ungläubige Charaktere, die von Geistern heimgesucht und bestraft werden», erklärt er. «Und einer der Guten ist ausserdem immer ein Imam. Mit solchen Details tragen die Filme als einer von vielen Bausteinen dazu bei, dass die kulturelle Hegemonie des Islam in der Türkei immer stärker wird.»