«Eher wird eine Frau Boxweltmeister im Schwergewicht als Kapitän bei der Deutschen Lufthansa»: Dieser Satz von Flugkapitän Alfred Vermaaten, ehemaliger Leiter der Lufthansa Verkehrsfliegerschule, war Maxime. Jahrzehntelang. Doch manchmal täuschen sich auch Propheten wie Alfred Vermaaten. Die erste Boxweltmeisterin triumphierte 1994, Lufthansa-Pilotinnen gab es schon 1988. Heute ist eine weibliche Stimme aus dem Cockpit nichts Ungewöhnliches mehr.
Nicola Lisy und Evi Hetzmannseder machten den Anfang. Nach zweijähriger Berufsausbildung sassen sie zunächst als Kopilotinnen am Steuerknüppel einer Boeing 737. «Natürlich mit ganz viel Stress, wir waren ja noch Neulinge. Zum ersten Mal mit Passagieren an Bord, ich hatte weiche Knie», erzählt die 48-jährige Evi Hetzmannseder rückblickend. Im Jahr 2000 wurde sie Kapitänin, eine Berufsbezeichnung, die die Lufthansa extra für Hetzmannseder und ihre Nachfolgerinnen einführte.
Erste Schweizer Linienpilotin hebt 1983 ab
Was vor 25 Jahren eine Revolution war – eine Frau in einem Männerberuf - ist heute keine Besonderheit mehr. Dennoch sind aktuell nur etwa sechs Prozent der Lufthansa-Piloten weiblich, darunter 80 Kapitäninnen. Damit liegt die deutsche Fluggesellschaft noch vor anderen Airlines. Bei British Airways sind derzeit fünf, bei Air France vier Prozent der Piloten Frauen. Auch in den USA sieht es nicht viel besser aus: Sechs Prozent der etwa 600‘000 Linien- und Privatpiloten sind weiblich.
Dass heute nur rund 300 Pilotinnen bei Lufthansa angestellt sind, liegt nicht an der Leistung der Frauen. Der Anteil der Bewerberinnen, die den Auswahltest der Lufthansa besteht, ist bei beiden Geschlechtern gleich. «Weder beim Eignungstest noch beim fliegerischen Können sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen», erklärt Lufthansa-Kapitän und Ausbilder Rolf Müller.
Weder Einstein noch Top Gun
«Viele Frauen trauten sich den Beruf nicht zu und denken, man muss ein ‹Technikfreak und Mathematikgenie› sein», sagt Riccarda Tammerle, seit 13 Jahren Kopilotin bei Lufthansa. Aber das stimme nicht. Gefordert würden neben körperlicher und geistiger Fitness durchschnittliche mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten.
Im Cockpit würden Eigenschaften wie Flexibilität und Teamfähigkeit zählen. «Früher habe ich gedacht, man müsse Elektroingenieur sein oder zuhause selber Stromkreise aufgebaut haben.» Aber das Gegenteil wäre der Fall, so Tammerle, die vor ihrer Pilotinnenlaufbahn zwei Jahre als Flugbegleiterin arbeitete. Viel wichtiger sei es, dass man «multitaskingfähig ist und sich über lange Zeit konzentrieren kann.» Denn Fliegen sei heute mehr eine Managementaufgabe. Deshalb lautet ihre Forderung: «Mehr Frauen ins Cockpit!»
Flexible Arbeitszeitmodelle
Dass es Frauen in der männerdominierten Flugbranche schwerer hätten, kann Evi Hetzmannseder nicht bestätigen. «Akzeptanz kommt durch Leistung», sagt sie selbstbewusst. Vier goldene Streifen schmücken die Ärmel ihres marineblauen Jacketts, das Rangabzeichen der Kapitänin. «Frauen bevorzugen eher kreative und soziale Berufe. Deshalb braucht es Anreize, um Frauen ins Cockpit zu bringen.» Lufthansa spricht ganz gezielt junge Frauen an. Der Luftfahrtkonzern wirbt mit einer Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, damit Pilotinnen Beruf und Familie besser vereinbaren können. Das gebe es im Übrigen auch für Männer, sagt Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty. Ausserdem gelte der Grundsatz «gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit.» Das Einkommen richte sich ausschliesslich nach dem Dienstalter. Trotzdem: Der Ansturm von Nachwuchsfliegerinnen auf die konzerneigene Pilotenschule ist bislang ausgeblieben.
Kapitän Müller weist auf einen historischen Grund hin: «In den USA haben sich die grossen Fluggesellschaften aus der Armee rekrutiert.» In der Armee sei es ein ungeschriebenes Gesetz gewesen, dass Frauen nicht an der Waffe dienen. «Flugzeuge sind nicht nur Transport-, sondern auch Waffensysteme». Dadurch seien Frauen relativ spät ins Cockpit gekommen. «Heute haben wir Frauen als Kampfpilotinnen. Das belegt, dass Frauen genauso gut ihre Aufgaben erledigen wie Männer.»
Töchter des Ikarus
1928 ging Marga von Etzdorf als erste Lufthansa-Pilotin in die Luft. Ein kurzes Intermezzo. Danach vergingen 60 Jahre, ehe wieder eine Frau im Lufthansa-Cockpit Platz nehmen durfte. Evi Hetzmannseder sieht sich keineswegs als Vorbild für andere Frauen. «Mein Ziel war es nicht, anderen etwas zu beweisen oder irgendetwas Tolles dazustellen!» Sie sei keine Vorkämpferin gewesen, «ich habe keine Lanze gebrochen», so die Kapitänin. Ihrer Anstellung bei Lufthansa sei auch kein jahrelanger Kampf vorausgegangen. Ihr Traum sei immer gewesen, im Cockpit zu sitzen. «Angeblich wollte ich immer im Kindergarten Stewardess werden und einen Kapitän heiraten. Da ist leider nix draus geworden.»
Von den ersten Amazonen der Lüfte, wie der Französin Elise Deroche, die 1910 als erste Frau weltweit das Pilotenpatent erwarb, oder Melli Beese, der ersten deutschen Pilotin, die 1911 die Pilotenprüfung ablegte und ihren Traum vom Fliegen gegen viele männliche Widerstände erkämpfte, hat Riccarda Tammerle «erst bei der Lufthansa erfahren.» Während der Ausbildung sei sie zum ersten Mal mit den Flugpionierinnen konfrontiert worden. «Davor hatte mich das überhaupt nicht interessiert.»
Bis 1991 flogen die ersten Pilotinnen bei Lufthansa in Männeruniformen. Inzwischen sind auch Haarspangen, Haargummis, Damenkrawatten, Nikkituch und Handtasche Bestandteile der Uniform. Evi Hetzmannseder, die Mit-Initiatorin der «Lufthansa Pilotinnen Uniform und Accessoires», legt auf Rock oder Kleid keinen Wert. Und sie trägt gern Krawatte.