- Die Berber Aït Khebbach haben ihre Schlafteppiche dem sesshaften Leben angepasst und sie dicker gemacht, da der Steinboden in Häusern härter ist.
- Aus Mangel an Rohstoffen für dickere Schlafteppiche begannen die Berberfrauen in den 1980er-Jahren Baumwollstreifen aus der Altkleidersammlung zu verwenden.
- Für die modern wirkenden Teppiche werden auch heute noch traditionelle Motive benutzt.
Eine Berbersiedlung mitten im Nichts
Sie leben mitten in der Steinwüste, irgendwo im Nirgendwo. Wer zu den Berbern des Stammes der Aït Khebbach gelangen will, muss wissen, wo sie suchen.
Der französische Landschaftsarchitekt Arnaud Maurières und seine beiden Arbeitskollegen hatten einen Guide, der sie vor einigen Jahren zu den Lehmhäusern des Stammes brachte.
«Als unser Reiseführer uns mitten in der unwirtlichen Landschaft die beiden Punkte am Horizont zeigte und sagte, dort lebe seine Familie, dachte ich, es sei ein Witz», erinnert sich Maurières.
Dichter Flor und überraschende Farbpracht
Doch die beiden Punkte entpuppten sich beim Näherkommen als zwei Häuser – und in ihr fand der Franzose tatsächlich die Familienmitglieder des jungen Berbers. Und er fand noch etwas anderes: geknüpfte Teppiche mit einem dichten Flor und von einer unglaublichen Farbigkeit. Auf solchen Teppichen sitzend bot man den Gästen Tee an.
So etwas hatten die Westeuropäer noch nie gesehen – obwohl sie seit über zwanzig Jahren in der arabischen Welt arbeiteten und sich für nomadische Kulturen interessierten.
Anders als alle anderen Berberteppiche
Sofort war die Sammelleidenschaft der Reisenden geweckt. Was sie alles zusammentrugen, zeigt die Ausstellung «Couleurs désert» im Zürcher Museum Bellerive.
Denn diese Teppiche ähnelten in keiner Weise anderen Berberteppichen, die meist aus Schaf- oder Ziegenwolle gewebt und in hellen und braunen Naturtönen belassen sind.
Nomaden mussten sesshaft werden
Schnell erfuhren die Gäste, dass es sich um Schlafteppiche handelte – früher waren die Aït Khebbach Nomaden gewesen, die in ihren Zelten auf gewobenen Ziegenhaar- und Schafwoll-Teppichen am Boden schliefen.
Dann wurde 1956 durch die Grenzziehung zwischen Algerien und Marokko ihr Stammesgebiet eingeschränkt. Sie konnten nicht mehr umherziehen und wurden sesshaft.
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Aus der Not eine Tugend machen
Doch auch in den nun fixen Strukturen schliefen sie weiterhin auf dem Boden. Der harte, gemauerte Untergrund der Häuser verlangte allerdings nach einem Polster. Dem trugen die Aït Khebbach Rechnung. Ab den 1980er-Jahren begannen sie, einen voluminösen Flor in die gewebten Teppiche zu knüpfen.
Doch woher das Material dafür nehmen? Wolle war teuer und nur beschränkt verfügbar. Die Frauen, die diese Teppiche fertigten, zeigten sich äusserst erfinderisch. Sie kauften günstig gebrauchte Kleidung auf dem Suk, dem arabischen Markt. Diese stammten aus europäischen Altkleidersammlungen.
Farbpracht der Altkleidersammlung
Die Stoffe schnitten die Berberfrauen in dünne Bahnen, Gestricktes trennten sie wieder auf. So gewannen sie textile Bänder und Wollfäden, die sie für den Flor ihrer Teppiche gebrauchten.
Das erklärt auch die Farbenpracht: Denn die recycelten Kleider waren kunterbunt. Auch das nutzten die findigen Berberfrauen, die die Teppiche kreierten. Sie gestalteten die Teppiche mit individuellen Mustern: Oftmals findet man das traditionelle Rautengitter, das nach einer animistischen Weltauffassung die bösen Geister aus dem Boden fernhalten soll.
Sesshaft und doch frei
Doch sie variierten es, und manchmal sieht man auch Darstellungen von Pflanzen, Tieren und Insekten. Und auch das symbolhafte Yaz findet man: Yaz ist der letzte Buchstabe des Berber-Alphabets. Die beiden horizontalen Linien sind zueinander gebogen und mit einem vertikalen Strich verbunden. Es bedeutet so viel wie freier Mensch – und meint die Berber selber.
Das Yaz auf dem seit einigen Jahrzehnten nun mit Volumen angereicherten Schlafteppich der Aït Khebbach: Ein starkes Symbol für ein Volk, das sich auch in der Sesshaftigkeit mit Kreativität und dem weiterhin blühenden Kunsthandwerk sein Selbstbewusstsein bewahrt.