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Ein Arbeiter in einer Zinnerz-Mine im Kongo.
Legende: Die Kampagne «Recht ohne Grenzen» fordert für multinationale Unternehmen klare Regeln, z.B. beim Abbau von Rohstoffen. Keystone

Gesellschaft & Religion Gerechtigkeit braucht viele Akteure

Am Institut für Wirtschaftsethik der HSG weht ein frischer Wind: Seit zwei Jahren pauken hier zwei junge Professoren mit den Bankern von morgen Moral und Ethik. Barbara Bleisch hat mit einem von ihnen, Florian Wettstein, über den Zweck von Ethikunterricht und über Reputationsrisiken gesprochen.

Barbara Bleisch: Florian Wettstein, Sie sind Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen (HSG). Sind Sie ein Feigenblatt?

Florian Wettstein: Sicher nicht! Als mein Vorgänger Peter Ulrich in Pension ging, hat man nicht nur seinen Lehrstuhl neu besetzt, sondern einen zusätzlichen geschaffen. Die HSG nimmt die Ethik also durchaus ernst. Das zeigt sich auch daran, dass sie viele Initiativen im Bereich der Ethik aktiv unterstützt.

Zum Beispiel?

Die HSG hat schon früh die sogenannten «Principles for Responsible Management Education» (PRME) unterzeichnet, die von der Uno unterstützt werden. Damit verpflichtet sich eine Universität, ein Lehrangebot im Bereich Ethik und Nachhaltigkeit zu garantieren.

Und müssen die Ökonomiestudierenden diese Veranstaltungen auch besuchen?

Porträtaufnahme von Florian Wettstein.
Legende: Nimmt auch politisch kein Blatt vor den Mund: Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik an der HSG. zvg

An der Universität St. Gallen müssen alle Studierenden 25 Prozent ihrer Leistungen im sogenannten Kontext-Studium erbringen, zu dem unter anderem Angebote aus Soziologie, Psychologie, Geschichte oder auch der Ethik gehören. Was aus diesem Angebot gewählt wird, ist aber den Studierenden überlassen.

Können Ethik-Vorlesungen denn überhaupt etwas zu einer nachhaltigen und menschenrechtskonformen Wirtschaft beitragen?

Ich hoffe es doch! Als vernunftbegabte und damit lernfähige Wesen können sich Menschen auf Argumente einlassen. Sie können ihre Ansichten zur Disposition stellen und auch Einsicht zeigen, wenn gewisse Verhaltensweisen problematisch sind. Allerdings ist die Ausbildung nur ein Element, die Welt gerechter zu gestalten. Gerechtigkeit verlangt neben Bürgertugenden genauso nach einem zielführenden Rechtsrahmen.

Sie sind Botschafter der Kampagne «Recht ohne Grenzen», die verbindliche Regelungen für transnationale Unternehmen verlangt mit dem Ziel des Menschenrechtsschutzes. Muss es also der Staat richten?

Der Staat muss und kann es nicht alleine richten. Wie ich schon sagte: Gerechtigkeit ist das Ergebnis eines multilateralen Bemühens, das Leadership der Führungskräfte, freiwillige Unternehmensinitiativen, aber auch faire staatliche und überstaatliche Rahmenbedingungen braucht. John Ruggie, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, hat in diesem Zusammenhang von einem «smart mix» gesprochen, der erforderlich sei, um den Menschenrechtsschutz global zu garantieren. Damit hatte er sicher Recht.

Der amerikanische Ökonom Milton Friedman schrieb 1970 im «New York Times Magazine», die soziale Verantwortung eines Unternehmens bestehe darin, seinen Profit zu steigern. Friedman wird heute noch fleissig zitiert...

Florian Wettstein

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Der 38-jährige Ökonom ist seit 2011 Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Daneben ist er Botschafter der Kampagne «Recht ohne Grenzen». 2009 erschien bei Stanford University Press sein Buch Multinational Corporations and Global Justice. Wettstein ist Vater dreier Kinder.

Studierende, die dieser neoklassischen Position anhängen, haben wir auch in unseren Seminaren. Ich halte sie allerdings für falsch. Auch neoklassische Ansätze wollen – wie fast alle ökonomischen Theorien – Wohlstand für alle. Sie gehen allerdings davon aus, dass dies ohne die Thematisierung von Verteilungsfragen geht – dies soll dem Markt überlassen werden. Fragen der Gerechtigkeit werden also durch die Idee der Markteffizienz ersetzt. Auch Moral braucht es dafür nicht, denn Markteffizienz, so meint man zu wissen, fusst auf dem strikten Verfolgen von Eigeninteressen. Dass dies ein fataler Trugschluss ist, hat uns nicht zuletzt die anhaltende Finanzkrise vor Augen geführt.

Warum wehren sich denn immer noch so viele Ökonomen gegen jedes staatliche Eingreifen?

Staatliches Eingreifen allein ist nicht immer das richtige Mittel, es braucht, wie gesagt, den «smart mix». Allerdings wehren sich die Ökonomen selten, wenn es um staatliches Eingreifen zur Marktexpansion und –durchsetzung geht. So ist der institutionelle Rahmen, der den globalen Markt ermöglicht, weit fortgeschritten. Bestimmungen aber, die dessen Umwelt- und Sozialverträglichkeit sicherstellen sollen, hinken weiterhin hinterher. Letzteres braucht internationale Rechtsgebilde, und solche auszuhandeln, braucht sehr viel Zeit und den Willen von vielen Beteiligten.

Die Schweiz steht gegenwärtig nicht nur als Bankenplatz, sondern auch als «Rohstoffdrehscheibe» in der Kritik. Die Kampagne «Recht ohne Grenzen» wirft ihr vor, tatenlos zuzusehen, wie Unternehmen mit Sitz in der Schweiz im grossen Stil Menschenrechte in afrikanischen oder lateinamerikanischen Minen verletzen. Geht es uns Schweizer etwas an, was diese Unternehmen im Ausland machen?

Ja, natürlich, Menschenrechtsverletzungen gehen uns alle etwas an!

Auch Sie und mich?

Auch Sie und mich, und wir haben eine Verantwortung als Bürger, unsere demokratischen Rechte auszuschöpfen um für eine bessere Kontrolle zu sorgen. In erster Linie verantwortlich wäre allerdings das Management der entsprechenden Firmen. Manager sollten dies erkennen und entsprechende Initiativen unterstützen – es enttäuscht mich, dass sie sich hier oft aus der Verantwortung stehlen.

Damit würden sie sich ja nur ins eigene Fleisch schneiden...

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Eben nicht. Ich bin mir sicher, dass die Reputationsrisiken auf die Länge grösser sind als die Einschnitte, die folgen, wenn entsprechende Regeln etabliert werden. Ausserdem ist es sicher vorteilhafter, man kann bei der Gestaltung der Regeln mitreden, an die man sich später halten muss – ansonsten werden sie einem später einfach aufoktroyiert. Das ist genau das, was jetzt im Streit mit den US-amerikanischen Steuerbehörden passiert: Man hat es verschlafen, proaktiv faire Regeln durchzusetzen. Jetzt müssen wir kuschen und fahren erst noch einen Reputationsschaden ein.

Das klingt so, als wäre Ethik ein reines Reputationsinstrument?

Ethik ist natürlich mehr als Reputationsmanagement. Aber wo es pragmatische Argumente gibt, sollte man diese auch vorbringen, denn diese klingen für viele überzeugender als theoretische. Dennoch gilt klar: Nicht-deklarierte Gelder dürfen nicht versteckt werden, ganz egal, ob uns dies zum Schaden oder Nutzen gereicht.

Kann es sich die Schweiz denn leisten, ganz auf Transparenz zu setzen?

Das ist die falsche Frage, denn es gilt umgekehrt: Wir können es uns nicht mehr leisten, andere Staaten zu brüskieren. Die richtige Frage lautet deshalb: Wie kann die Schweiz auch ohne Steueroase als Bankenplatz attraktiv bleiben? Ich glaube auf jeden Fall, dass sie es kann – soviel Vertrauen habe ich in den Schweizer Bankenplatz.

Der Strafrechtsprofessor Mark Pieth zur Frage, ob der Schweiz durch den Rohstoffhandel wieder ein ähnliches Reputationsrisiko droht, wie durch das Bankgeheimnis.

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