Mit den Machern der Sunday Assembly in Kontakt zu treten, war gar nicht so einfach. Normalerweise sind junge Bewegungen sehr hilfsbereit und willig, mit Medien zu sprechen. Doch diese hier schien eine besondere Knacknuss zu sein. Diverse Mails an verschiedene Adressen und sogar Tweets an die Gründer später waren die Interviews verabredet und mein Besuch angekündigt. So ganz sicher, ob es auch klappt, war ich mir dennoch nicht.
Etwas fehlte, was die Kirche sonst bietet
Angefangen hat alles mit Pippa Evans und Sanderson Jones, zwei britischen Komikern. «Wir haben beide gemerkt, dass uns etwas fehlt in unseren Leben. Etwas, was traditionellerweise die Kirchen zur Verfügung stellen», erzählt mir Pippa in London. Obwohl sie nicht wusste, dass ich komme, steht sie mir Red und Anwort – für maximal zehn Minuten: «I have to talk to my people, you know.» Und dieses etwas sei die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.
«Freunde von mir, die in kleinere Orte zogen, fingen wieder damit an, in die Kirche zu gehen – einfach weil sie sonst keine Leute kennenlernten.» Doch so richtig wohl haben die sich dabei nicht gefühlt: «Sie hatten das Gefühl, sie belögen all diese netten Menschen.» Aus diesen Gründen starteten Pippa und Sanderson im Januar 2013 mit dem ersten Sunday Assembly in London: «Das war der Wahnsinn, 600 Menschen kamen, wir waren total überrumpelt.»
Ihr Konzept schien aufzugehen, den Zeitgeist zu treffen: Heute, gut zwei Jahre später gibt es weltweit rund 100 Gemeinden. Auf allen Kontinenten wollen Engagierte eine Sonntagsversammlung gründen. Und jetzt ist mir auch klar, warum sie so desinteressiert auf die Anfrage aus der Schweiz reagierten: Sie reiten bereits auf einer riesigen Erfolgswelle.
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Eine gemischte Truppe muss es sein
Alle Interessierten können eine solche Versammlung gründen. Doch wer den Brand «Sunday Assembly» sowie die offiziellen Designs nutzen will, muss sich an einige Regeln halten. So braucht man mindestens vier Mitstreiter. Nicht mehr als zwei davon dürfen denselben Hintergrund haben.
«Wir wollen verhindern, dass einige ihre persönliche Agenda durchboxen – darum schauen wir, dass etwa nicht fünf Humanisten zusammen in London ein Sunday Assembly gründen, sondern dass es zwei davon sind, und daneben noch ein Ex-Christ, eine Buddhistin und eine Person, die nicht weiss, was sie ist», so Pippa. Diese Mischung mache es auch einfacher, dass die Charta eingehalten werde.
Wer ein Label hat, verliert Menschen
Die Charta enthält zehn Punkte, an die sich alle halten müssen. Zum Beispiel: Es gibt keine Doktrin und die Versammlungen sind radikal inklusiv, diskriminieren niemanden und schliessen niemanden aus. «Das ist zum Beispiel bei der Wahl der Redner wichtig: Wenn jemand in seiner Sunday Assembly einen Redner möchte, der erklärt, warum alle Christen in der Hölle schmoren sollten, können wir mit der Charta wedeln und sagen, dass das nicht geht», so Pippa. Meine Rückfrage, wie sie das denn genau überwachen können, bleibt unbeantwortet.
Bis jetzt scheint das einigermassen gut zu funktionieren: Einzig in New York verwarfen sie sich mit den dortigen Atheisten, die zunächst ein Sunday Assembly aufgezogen hatten, dann aber rausgeschmissen wurden. Pippa sagt dazu: «Sobald du dir ein Label gibst, verlierst du Menschen. Wenn du also in einem Saal voller verschiedener Leute sagst, wir sind ja alles Atheisten hier, hast du die Hälfte davon verloren. Das ist nicht in unserem Sinne.» Sie wollen vielmehr die Gemeinsamkeiten aller Menschen hervorheben und nicht das Trennende. «Uns geht es darum, Gemeinschaft zu schaffen, Menschen zusammenzubringen.» Denn viele litten darunter, dass sie gerade in Grossstädten keine echte Gemeinschaft mehr erlebten.
Ein Plätzchen für fast alle
Ihr Motto oder Credo lautet ziemlich vage «live better, help often, wonder more», lebe
besser, hilf öfter, staune mehr. Und die beiden Komiker haben Recht: Unter diesen Schirm passt eine Mehrheit der Leute, daran kann sich kaum jemand stören. So sind es bei meinem Besuch in London etwa 250 zumeist junge und hippe Menschen, die zum Assembly kommen. Die Versammlung weist alle Elemente eines Gottesdienstes auf: Es wird gesungen, innegehalten, Gemeinschaft erlebt. Lediglich die Wörter Gott, Jesus oder Bibel werden gemieden.
Anstelle einer Predigt gibt es eine Rede, an jenem Sonntag die einer kalifornischen Lehrerin. Diese sieht in Alltagsdingen Smileys, die sie fotografiert und auf ihrer Homepage sammelt. In den USA hat sie so einige Anhänger, sie wurde sogar in Oprah Windfreys Blog erwähnt. Ihre Botschaft: Wer in seinem Essen oder im Asphalt beginnt nach Smileys zu suchen, lächelt mehr und ist dadurch glücklicher. Well, diese Botschaft ist nicht gerade weltbewegend und regt mich auch nicht zu bisher ungeahnten Gedankenspielen an. Aber ausgeschlossen habe ich mich nicht gefühlt.
Farbe bekennen, ohne auszuschliessen?
Nach der Sonntagsversammlung in London, auf dem Weg zurück ins Hotel, denke ich über zwei Dinge nach. Zum einen darüber, wie Pippa Evans und Sanderson Jones in einer so grosse Bewegung verhindern wollen, dass jemand seine eigenen Interessen vor die der Gemeinschaft stellt. Und zum anderen: Die beiden sind keine Atheisten, Pippa selber ist kirchlich sozialisiert. Es war ziemlich klar, dass es um mehr geht, als einfach zusammen zu singen und sich gut zu fühlen. Darum frage ich mich: Warum trauen sich die beiden nicht, ihren Ansatz der Spiritualität offenzulegen? Denn ich bin der Überzeugung, dass man sehr wohl Farbe bekennen kann – ohne andere auszuschliessen.