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Ein Mann und eine Frau, schematisch dargestellt, die miteinander sprechen.
Legende: Erzählen schafft Zugehörigkeit: Diese einfache Wahrheit gewinnt in unserem beschleunigten Alltag wieder an Wichtigkeit. Getty Images

Gesellschaft & Religion Gut erzählt ist halb geholfen

In einer Kultur der Informationsüberflutung ist das Erzählen selten und darum kostbar geworden. Denn es benötigt Zeit und offene Ohren. Institutionen wie Erzählcafés befriedigen unser vernachlässigtes Bedürfnis nach Geschichten – mit viel Wirkung, wie ein Besuch zeigt.

Es ist ein erster warmer Frühlingstag. Die Fenster in einem Basler Quartierzentrum stehen offen. Draussen lärmen übermütig spielende Kinder. Drinnen sitzen zwölf Frauen und ein Mann im Kreis. Sie sind zusammengekommen, um sich zuzuhören und zu erzählen.

Es geht ums Geld. Um Arm und Reich in einem Quartier, in dem niemand auf Rosen gebettet ist: Kleinhüningen. Eine Frau erzählt von «wollig Gelismetem» als einzige Belohnung in ihrer Kindheit. Der Mann in der Runde erinnert sich daran, wie viel es ihm bedeutet hat, ein Fünferli Herausgeld behalten zu dürfen.

Mehr als ein Kaffeekränzchen

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Es ist auch von Scham die Rede. Vom Verbergen der finanziellen Knappheit. Und von dem, was man durch den Verzicht gelernt hat. Johanna Kohn leitet das Gespräch. Sie ist Professorin für soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz und hat zwei Studentinnen zum Erzählcafé mitgebracht.

Das Erzählcafé in Kleinhüningen ist ein inszenierter Gesprächsanlass mit Ziel und Zweck und klaren Regeln. Die wichtigsten sind: Freiwilligkeit und offene Ohren. Das sorgt auch für Überraschungen. Die Erzählung eines Fremden stösst ganz unerwartet eigene Erinnerungen an. Eine Frau sagt: «Das habe ich noch nie meinem Mann erzählt! Das muss ich unbedingt tun!»

Bedeutungsvolle Biografiearbeit

Es entsteht ein Sog. Nach einer guten Stunde ist Schluss. Die meisten würden gerne noch weiter zuhören. Oder weiter erzählen. Aber nun gibt es Kaffee und es kann ganz regellos weitergehen. Und es geht weiter.

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Man steht zusammen und kommt ins Gespräch. Fragt nach. Hakt nach. Man hat geteilt und mitgeteilt. Es gibt nun Mitwisserinnen und Anteilnehmende. Erzählen verbindet offenkundig. Erzählen schafft Zugehörigkeit. «Ich wurde gehört. Man hat mich verstanden. Andere wissen nun von mir», sagt eine Frau beim Kaffee. «Ich bin überrascht, dass ich mich plötzlich an so vieles erinnere», eine andere. Man will wissen, wann das nächste Erzählcafé stattfindet. Und zu welchem Thema.

Mehr davon!

Erzählcafés machen Schule. Nicht nur in der sozialen Arbeit, auch im Bereich «Public Health». Der Zollikofener Hausarzt Michael Deppeler beispielsweise veranstaltet unter dem Label «dialog- gesundheit Schweiz» seit zehn Jahren grosse Erzählrunden. Er ist überzeugt von deren Heilsamkeit . Auch die Basler Professorin für Gerontopsychiatrie Gabriela Stoppe ist sicher, dass das Erzählen im Alter eine enorme seelenstärkende Wirkung hat.

Und Johanna Kohn, die Professorin der sozialen Arbeit, sitzt mit den beiden Studentinnen zum Schluss des Anlasses in Kleinhüningen zusammen, hört ihnen zu und sagt: «Erzählrunden fördern den gesellschaftlichen Zusammenschluss. Sie bieten Ansätze zur Quartierentwicklung. Und: Sie stärken die Identität der Teilnehmenden, indem thematische rote Fäden durch die eigene Biographie gespannt werden.»

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