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Gesellschaft & Religion «Hate Poetry»: Eine Party aus Hass und Beleidigungen

«Du bepimmelter Kackmuslim» – «Türkenfotze, Kurdenfotze, anatolische Nachgeburt!» – Journalisten mit ausländisch klingenden Namen schlägt in Leserpost oft blanker Hass entgegen. Bei «Hate Poetry» lesen die Journalisten die Hass-Mails. Man lacht, um nicht weinen zu müssen.

Die Idee hatte die Autorin Ebru Tasdemir, als ihr eine Freundin einen rassistischen Leserbrief zeigte: «Da stand ‹Sehr geehrte Frau Arschloch›. Da habe ich gesagt: ‹So geht das aber nicht. Es muss sehr geehrte Frau Arschlöchin heissen.›» Und schon war die schlechte Laune verflogen. «Wir dachten, wenn wir darüber lachen, wird es auch für andere lustig sein. Ich habe ein paar Freunde angeschrieben, die ähnliche Briefe erhalten hatten, und wir beschlossen, die Texte auf einer Bühne vorzutragen.»

Die erste «Hate Poetry»-Lesung fand im Februar 2012 im Café der «Tageszeitung» («taz») in Berlin statt und war ein derart grandioser Erfolg, dass die Journalisten weitermachten. Sie gingen auf Tour und sind inzwischen in ganz Deutschland aufgetreten – meist vor ausverkauften Häusern. Bei der Wahl der «Journalisten des Jahres 2014» wurden sie mit einem Sonderpreis geehrt. Das Prinzip, Hass mit Humor zu begegnen, kommt an.

Der Sekt fliesst in Strömen

Für die Lesung haben sie sich als Klischee-Ausländer kostümiert. Sie tragen billig glänzende Anzüge und Schals mit türkischer Wahlwerbung. Der Tisch, an dem sie sitzen, ist mit Aldi-Tüten und Politikerfotos dekoriert – so viel Satire muss sein. Der Sekt fliesst in Strömen, auch das Publikum wird bewirtet und der Abend kommt in Schwung.

Es werden Leserbriefe in vier verschiedenen Kategorien vorgetragen. Primitive Zuschriften, die mit Anreden wie «Sehr geehrter Herr Arschloch» und «Liebe Frau Fotze» beginnen, gehören in die erste Kategorie, Abo-Kündigungen in die zweite. Sprachgewaltige Texte werden in der Kategorie «Grosse Oper» vorgetragen, krasse Beleidigungen unter der Überschrift «Kurz und Schmutzig». In jeder dieser Kategorien tragen die Journalisten ihre schlimmsten, dümmsten und bestformulierten Hassbriefe vor.

«... wenn Sie überhaupt schreiben könnten»

Natürlich werden sie dabei zu Performern. Deniz Yücel («taz») steigert sich in ein wunderbar übertriebenes Demagogenpathos, wenn er ruft «Es riecht nach Quotentürke!», «Ich schäme mich, dass so einer in Deutschland schreiben darf!». Mely Kiyak (freie Autorin) hingegen schmeckt die Bosheit in den von ihr vorgetragenen Texten feiner ab. Sie stichelt, ätzt und doziert mit drohendem Unterton, während Özlem Gezer («Spiegel») eher distanziert bleibt.

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«Ich finde, Sie müssten demütiger sein», erklärt Gezer mit erschreckender Sachlichkeit. «Wenn wir Deutschen Ihre Grosseltern nicht reingelassen hätten, dann würden Sie jetzt wahrscheinlich ein Kopftuch tragen, sechs Kinder haben und bestimmt nicht für den ‹Spiegel› schreiben – wenn Sie überhaupt schreiben könnten.»

Man lacht, um nicht weinen zu müssen

So viel Gemeinheit hat beim «Hate Poetry»-Wettlesen einen Sonderapplaus verdient. Die Journalisten kichern, klatschen und werfen mit Konfetti, und auch das Publikum johlt mit. Dabei ist klar, dass das Lachen an dieser Stelle nur eine Ventilfunktion hat. Man lacht, um angesichts dieses Abgrunds aus Gemeinheit und Fremdenhass nicht weinen zu müssen.

«Natürlich werden auch deutsche Journalisten beschimpft, wenn sie kontroverse Artikel schreiben», erklärt Deniz Yücel. «Aber wenn man einen ausländisch klingenden Namen hat, wird es schnell sehr persönlich. Wir werden, wie Mely Kiyak einmal gesagt hat, nicht für das beschimpft, was wir schreiben, sondern für das, was wir sind.»

In jeder verdammten Stadt in diesem Land

Und die Hassbriefe kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Manche sind glänzend formuliert, andere wirken schon durch ihre holprige Formulierung unfreiwillig komisch. Doch aus allen spricht eine grundsätzliche Ablehnung alles Fremden. Auch dagegen will «Hate Poetry» ein Zeichen setzen. «Wir werden uns nicht zu Opfern machen lassen», erklärt Yassin Musharbash («Die Zeit»). «Wir sammeln die Texte und feiern eine Party damit – in jeder verdammten Stadt in diesem Land.»

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