«Ich habe eine Leiche gesehen, als ich mit meinen Freunden entlang eines Flusses ging. Der Tote wurde von zwei Waranen gefressen. Er schien jung zu sein, in meinem Alter. Da habe ich mich entschieden, die Gesellschaft aufzuwecken. Ich entschied mich, politisch aktiv zu werden», sagt Indika Gamaralalage, seufzt und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Wir sitzen in einem Café in Winterthur. Gamaralalage wohnt in Schaffhausen, macht eine Ausbildung als Pflegefachmann in einem Spital in Schlieren und besucht die Berufsschule ZAG (Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen) in Winterthur.
«Ich kritisierte die Herrschaft»
Der 43-Jährige hatte als Kind und Jugendlicher den grausamen Bürgerkrieg in Sri Lanka erlebt. Er wuchs in einer armen Familie auf, er war das fünfte von sechs Kindern. Als er zehn Jahre alt war, starb sein Vater. Seine Mutter kämpfte von da an mit vielen Schwierigkeiten, ihn und seine Geschwister durchzubringen.
«Trotzdem habe ich ein Fotografiediplom und einen Bachelorabschluss im Journalismus», sagt Indika Gamaralalage. 1993 haben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten die Zeitung «Hiru» (Sonne) gegründet, für die er während und nach seinem Studium arbeitete. «Darin haben wir in Artikeln oder auch mit Fotos das damalige Regime kritisiert.»
Zwei Bürgerkriege waren Motivation
Zwischen 1988 und 1989 revoltierten in Sri Lanka vorwiegend links orientierte Jugendliche gegen das herrschende Regime. «Die Jugendlichen wurden getötet und die Leichen auf die Strasse gelegt oder in den Fluss geworfen, um Angst unter den Menschen zu verbreiten». Diese Ungerechtigkeiten hätten ihn zum Schreiben und zum Journalismus gebracht, sagt Indika Gamaralalage.
«30 Jahre lang gab es Bürgerkrieg zwischen den tamilischen Stämmen und den herrschenden, singhalesischen Stämmen, zu denen ich gehöre. Die regimetreuen Medien berichteten darüber und schrieben, dass nur die Terroristen getötet würden. Aber wir vor Ort haben getötete Kinder und Frauen gesehen. Ich habe gegen diese Lügen angeschrieben».
Vom Staat bedroht
Gamaralalage floh im November 2008 in die Schweiz, nachdem er von verschiedenen Seiten bedroht wurde. «Ich wurde vom Staat bedroht, aber auch von anderen rassistischen Gruppen. Sie drohten mir und sagten, dass ich nicht über die getöteten Kinder und Frauen der Tamilen schreiben soll», erinnert er sich.
Lächelnd fügt er hinzu: «Mit ein paar Leuten habe ich dann die Website ‹Lanka Dissent› betrieben und konnte dafür schreiben, als ich aus Angst ungefähr ein Jahr lang nur im Büro geblieben bin. 2008 ist es mir schliesslich gelungen, in die Schweiz zu fliehen».
Hier hat seine Arbeit nichts mehr mit Journalismus zu tun. Gamaralalage arbeitet als Pflegefachmann in einem Zürcher Spital. Er hat eine Grundausbildung als AGS (Assistent Gesundheit und Soziales) absolviert. In seiner Abschlussprüfung hatte er gute Noten: Er war der Zweitbeste im Kanton Zürich. «Meine Arbeit hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Aber in beiden Jobs hat man Kontakt mit Menschen und man kann etwas für Menschen tun, deshalb gefällt es mir auch».
In seiner Freizeit ist er noch als Journalist tätig
Hin und wieder arbeitet Indika Gamaralalage als Journalist: Er hat zwei Fotoausstellungen in der Schweiz gemacht und arbeitet bei den Schaffhauser Menschenrechtstagen mit, für die er 2014 den Dokumentarfilm «Die Rechte des Menschen» drehte.
«Mit anderen geflüchteten sri-lankischen Journalisten habe ich in Deutschland einen Verein und eine Website gegründet. Wir schreiben auf Singhalesisch und Englisch. Das ist im Moment das einzige, was ich für meine Leute tun kann», erzählt er.
Seine Frau, die ihm ein halbes Jahr nach seiner Flucht mit der damals fünfjährigen Tochter in die Schweiz folgte, ist Malerin. Zusammen haben sie sechs Ausstellungen in der Schweiz gemacht. «Meine Frau inspiriert mich, auch als Aktivist tätig zu sein. Sie hat dieselbe Meinung wie ich, und sie zeigt ihre Kritik gegen Sri Lankas Herrschaft in ihren Malereien. Sie malt zum Beispiel viele Krücken. Es bedeutet, dass alle Menschen, aber auch die Wirtschaft und die Gesellschaft in Sri Lanka behindert werden, wenn die Konflikte dort nicht gestoppt werden».