Was die Piratenpartei genau will, weiss sie nicht einmal selbst. «Transparenz» und «Basisdemokratie» sind zwei ihrer grossen Begriffe. Diese lockten die Berliner «taz»-Journalistin Astrid Geisler, mit 37 Jahren erstmals einer Partei beizutreten. Was dann geschah, schildert sie in einem vergnüglichen Buch, das die etablierten Parteien beruhigen dürfte.
Denn das oft sympathische Chaos, als das man diese Partei in der Öffentlichkeit meist wahrnimmt, grassiert hinter den Kulissen noch wilder, als sich vermuten liesse. Die interne Entscheidungsfindung und die Wege der unbürokratischen Parteibürokratie sind so verschlungen, schwerfällig und kompliziert, dass im Vergleich die übrigen deutschen Parteien einiges klarer strukturiert sind - und demzufolge handlungsfähiger.
Das Transparenzgebot
Transparenz fordern die Piratinnen und Piraten. Das treiben sie so weit, dass sie auf ihren elektronischen Plattformen auch die letzte Partei-Quartiergruppensitzung protokollieren. Das hoffnungsvolle Neumitglied Astrid Geisler stellt jedoch fest, dass halt dann und wann das wirklich Wichtige in den Protokollen fehlt.
Dass Basisdemokratie ihre Tücken hat, ist eine weitere Erkenntnis aus diesem siebenmonatigen Selbstversuch. Die Parteimitglieder können sich übers Internet in Konferenzen, Blogs und Foren einschalten, sie können Programmanträge für die nächste Bundestagswahl zur Diskussion stellen. Sie können mitwirken. Bloss verwirkt sich die Wirkung dieser Mitwirkung sehr oft in den Tiefen der elektronischen Systeme. Oder sie wird, falls sich doch jemand für einen Diskussionsbeitrag interessiert, von Mitpiratinnen und Mitpiraten so stark überarbeitet, dass von der Uridee nichts mehr übrigbleibt – und bei den Mitwirkenden bloss Frustration. Ein Jekami ohne Früchte.
Kopfschütteln über die Wählerstimmen
Bereits bei einfachen Abläufen geht es drunter und drüber: Astrid Geislers Parteibeitritt bleibt lange unbeantwortet, schliesslich wird sie sogar Doppelmitglied und hat sogar zwei Zugänge zur internen Abstimmungssoftware. Sie kann also ihre Stimme verdoppeln und ihre eigenen Vorschläge durch ihr zweites Alias unterstützen.
Je länger man in diesem Buch liest, desto grösser die Chance, dass man nur noch den Kopf schüttelt. Weniger über das Chaos dieser zeitweilig sehr aufstrebenden politischen Kraft, als vielmehr über die sieben bis neun Prozent der Wählerstimmen, die die Piratenpartei in Berlin, im Saarland und in Tschechien geerntet haben. Es darf doch nicht wahr sein, dass man die Stimme einfach irgendeiner Partei gibt, um nicht die bisherigen zu wählen.
Freundlicher Ton der Autorin
Dass Astrid Geisler selbst auch öfter den Kopf geschüttelt haben dürfte, erschliesst sich aus ihren Schilderungen stundenlanger Sitzungen ohne Ergebnis, aus ihren Erlebnissen beim Entwerfen von Programmpunkten, aus ihrer Teilnahme an Twitter-Debatten. Trotz aller Freundlichkeit, mit der die Autorin über die Piratenpartei schreibt, klärt dieser Text zumindest eines: Die Zukunft des Politikbetriebs liegt anderswo.