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Gesellschaft & Religion Japan im 19. Jahrhundert – mit den Augen eines Schweizers

Aimé Humbert war der erste Schweizer, der mit Japan einen Handelsvertrag abschloss. In den 1860er-Jahren verbrachte er dafür zehn Monate in dem fernen Land, sammelte Zeichnungen und hielt seine Eindrücke fest. Nun ist seine Sammlung in Neuchâtel zu sehen: ein spannender Blick auf das einstige Japan.

«Der Imagination freien Lauf lassen»: Diese Worte formulierte Aimé Humbert in seiner 1870 erschienenen Publikation «Le Japon illustré», und meinte: Man müsse an dieses so andere Land offenen Herzens herangehen. Während zehn Monaten sammelte der Neuenburger in diesem noch weitgehend unbekannten Land Zeichnungen über Alltagsgegenstände. Und schrieb seine Beobachtungen dazu nieder.

Japan sollte Handelspartner der Schweiz werden

Zeichnung von Aimé Humbert.
Legende: Aimé Humbert (1819–1900). Bibliothèque Publique et Universitaire, Neuchâtel

Mit seinem Aufenthalt in den 1860er-Jahren im Fernen Osten verfolgte Humbert ein hohes Ziel: Er wollte Japan als Handelspartner für die Schweiz gewinnen. Bis zu diesem Zeitpunkt pflegten nur Grossmächte wie Frankreich und Russland einen solche Beziehung mit dem Land der aufgehenden Sonne. Ein erster helvetischer Versuch war wenige Jahre zuvor gescheitert.

Aimé Humbert aber, Präsident der Schweizerischen Uhrenvereinigung, glaubte, dass die Schweiz unbedingt eine solche Kooperation brauche – und dass er der Richtige sei, um diese zu erreichen. Bemerkenswert weitsichtig formulierte er: «Von allen Völkern des Fernen Ostens passen sich die Japaner am schnellsten uns und unseren Bedürfnissen an; und sie finden am schnellsten Gefallen an unseren Gütern. Für den europäischen Handel orte ich hier das grösste Potenzial.»

Faszination des Alltäglichen

Bereits mit 29 Jahren gehörte Aimé Humbert der Neuenburger Regierung an, von 1854 bis 1862 war er als Ständerat in Bern. Sein Glaube galt dem technischen Fortschritt und der Wissenschaft. Im November 1862 brach er nach Japan auf: Von Marseille aus erreichten er und eine fünfköpfige Schweizer Delegation auf dem Seeweg Nagasaki. 10 Monate lang hielt sich Aimée Humbert in Yokohama und Edo, dem heutigen Tokio, auf. Und wartete darauf, dass die Japaner endlich einem Handelsvertrag zustimmen.

Die Zeit des Wartens verbrachte er damit, Eindrücke über die japanische Lebensart niederzuschreiben und Zeichnungen dazu zu sammeln. Diesen Fundus an ersten ethnologischen Studien über ein bis dahin in der Schweiz noch fast gänzlich unbekanntes Land vermachte Humberts Sohn in den 1950er-Jahren dem Neuenburger Musée d’Ethnographie. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der schweizerisch-japanischen Beziehungen zeigt das Museum diese Zeichnungen und Humberts Schriften – zusammen mit anderen japanischen Gegenständen.

Ein Mosaik des einstigen Japans

Die Ausstellung

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Die Ausstellung «Imagine Japan» ist bis zum 19. April 2015 im Musée d’Ethnographie in Neuchâtel zu sehen. Die Eröffnung verfolgten Bundespräsident Didier Burkhalter und der japanische Thronfolger Naruhito. Im November sollen sämtliche Dokumente ausgewechselt und ersetzt werden mit weiteren Auszügen aus dem Fundus von 2'500 Illustrationen.

Es sind einfache Bilder und Beobachtungen, die Aimé Humbert aus Japan mitgebracht hat. Und genau darin liegt laut Museums-Direktor Marc-Olivier Gonseth ihr Schatz: «Wie immer, wenn man Dinge sammelt, die etwas vernachlässigt worden sind, werden sie erst später interessant. Dann nämlich existieren sie nicht mehr; die Geschichte hat sie weggewischt, weil sie für unwichtig gehalten wurden.» Es ist ein Mosaik des einstigen Japans – von Alltäglichem wie Thunfisch tragenden Fischern über Ereignisse wie verheerende Hausbrände bis zur Freizeitgestaltung mittels Kunstvorführungen.

Und dann sind da immer wieder Humberts Beobachtungen und Kommentare. So bewundert er etwa, wie es Japanern gelingt, stets «im Moment zu leben». Oder wie sehr sie Wert auf Körperhygiene legen. Und schliesst daraus – korrekt bis ins Heute: «Die Japaner müssten eines der gesundesten und robustesten Völker der Erde sein.»

Selbstredend blickt Humbert durch die Schweizer Brille. Oft beschreibe er sehr subjektiv und patriotisch, sagt Museums-Direktor Marc-Olivier Gonseth. «Er schaut auf den Buddhismus mit einem protestantischen Bergler-Blick, auf Sexualität mit viel Misstrauen, weil er prüde ist. Und manche Handlungen interpretiert er als dämonisch. Er hatte in einigen Bereichen grosse Vorurteile, in anderen war er sehr viel feinfühliger. Dann zeigte sich der gute Analyst.»

Ehrgeizig und pragmatisch

Laut Marc-Olivier Gonseth hätte sich Humbert wohl nicht träumen lassen, wie sehr Japan seine westliche Heimat beeinflussen würde. Technische Innovationen sowie kulturelle Einfüsse wie Zen-Buddhismus oder die Kunst der Tätowierung sind heute Zeugnisse davon. In Humberts europäischem Denken des 19. Jahrhunderts war es der Westen, der die Vorstellungen und das Leben in anderen Weltregionen umkrempeln würde.

Ehrgeiz und Fleiss müssen dem Neuenburger eigen gewesen sein. «Wir erinnern uns an ihn, weil er über das hinausgegangen ist, was sein Auftrag war», sagt Marc-Olivier Gonseth. Er habe sich anhand seiner Sammlung ein Renommee erarbeitet, das er nie rein durch die Unterzeichnung des Vertrags erreicht hätte. Aber auch Pragmatismus zählte offensichtlich zu seinen Eigenschaften. Er hatte nicht vor, der asiatischen Kultur sein Leben zu widmen. Nach Abschluss des Projekts suchte er sich neue Aufgaben. Japan kam darin nicht mehr vor.

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